Von Grafen, Metern und sieben Siegeln Teil II

Haben wir uns im ersten Teil über Chronographen und -meter unterhalten (Teil I finden Sie HIER), so versuche ich in diesem zweiten Teil die Zeichen, Siegel und Plaketten der hohen und nicht ganz so hohen Horlogerie zu entschlüsseln. Beginnen wir bei den Schweizern, die durchaus für ihr gesundes Selbstbewusstsein bezüglich ihrer typischen Landesprodukte bekannt sind. Käse, Schocki und auch die zeitmessende Feinmechanik hievt der Eidgenosse im weltweiten Vergleich (gibt es noch eine Welt außerhalb der Schweiz?) auf den nicht diskutierbaren Platz eins. Punkt.

Nun besteht aber die Schweizer Uhrenindustrie nicht nur aus den uns bekannten Edel-Schmieden von Audemars bis Zenith. Seit Jahren drängen „swiss made“ Billigheimer à la „Kretheli & Pletheli“ auf die heimischen und restlichen Märkte, Preise und Qualitätsanspruch der Helveten in die Knie zwingend. So gilt es erst einmal sich vom einheimischen Marktbegleiter („Konkurrenz? Wir haben doch keine Konkurrenz!“) ent- und unterscheidend abzusetzen. Genau gehen tuen sie alle, die Uhren aus den tiefen Schweizer Tälern. Und da man die Qualitätskontrolle lieber in eigene, statt in genössische Hände legt, ziert so manches „Haus-Siegel“ die Kunstwerke aus Genf oder Fleurier.

Beginnen wir mit dem „Genfer Siegel“, dem Poincon de Genève, dem ältesten Herkunftsnachweis der Uhrenindustrie. Seit 1886 wurde die Genfer Punze mehrfach aktualisiert, zuletzt im Jahr 2012. Voraussetzung für den Erhalt der Punze ist der Antrieb (mechanisch) und die örtliche Montage, Regulierung und Einschalung (im Kanton Genf). Seit 2009 ist das Genfer Uhren- und Mikrotechnologielabor »Timelab« für die Einhaltung der Vergabe-Kriterien zuständig. Nach festen Kriterien werden regelmäßige Kontrollen bei Inhabern und Anwärtern (und natürlich deren Uhren) durchgeführt. Ganggenauigkeit und Wasserdichtigkeit gehören selbstverständlich dazu. Neben der Technik wird auch streng über die Qualität der handwerklichen Verarbeitung gewacht, mit Betonung auf Handwerk.Die Punzierung mit dem Genfer Siegel erfolgt dann gut sichtbar auf dem Werk oder der Brücke.

Das Siegel aus Genf ist nicht zu verwechseln mit den überschriftlich erwähnten Genfer Streifen. So genannt wird ein Zierschliff aus geraden, breiten Streifen zur Dekoration des Werkes.

Das Patek-Philippe-Siegelsetzt der Genfer Punze in Sachen Strenge seit 2009 noch einen drauf – und kocht seither sein eigenes Qualitätssüppchen. Ganz oder gar nicht, so sagt man sich heute bei PP und beurteilt die Uhr im Ganzen:

Dazu gehören neben dem Werk auch Gehäuse, Zifferblätter, Zeiger, Drücker, Armbandstege etc. Darüber hinaus auch die ästhetischen und funktionalen Aspekte der fertigen Zeitmesser. Und das für alle Uhren des Hauses. Und alle müssen besser sein als jegliche Chronometerprüfung, das Gehäuse muss nicht nur wasserdicht, sondern auch handpoliert sein. Und Service-Garantie verspricht man ein Leben lang (das der Uhr, nicht der Besitzer). Man hat spezielle Komitees, Subkomitees, Gremien und Kommissionen installiert. Alles im Sinne der Perfektion, der Marke und des Marketings.

Die Reise geht weiter ins kleine Örtchen Fleurier im Val de Travers. Dort beheimatet ist die 2001 gegründete Stiftung Qualité Fleurier– ein gemeinsames Projekt der Marken Chopard, Parmigiani Fleurier, Bovet Fleurier und Vaucher Manufacture Fleurier. Nicht nur das Werk, sondern die gesamte Uhr wird nach ästhetischen und technischen Regeln der Kunst auseinandergenommen (und wieder zusammengesetzt). Nach Bestehen schmückt ein stilisiertes „QF“ das Werk und das Ego des Erbauers. Zugelassen sind nur Uhren, deren Verarbeitung und Finissierung in der Schweiz erfolgt und das von der Entwicklung bis zur Ladentheke. Voraussetzung und natürlich eine Kleinigkeit ist die Chronometerprüfung der COSC. Mittels des „Chronofiable-Tests“ wird die Haltbarkeit der Uhr überprüft. Mittels Schlägen, Stößen und weiterem Traktieren innerhalb von drei Wochen, wird eine achtfach beschleunigte Alterung simuliert. Im „Fleuritest“ simulieren Maschinen die Alltagsbelastung der Uhr. Zum Schluss winkt das Zertifikat „FQF La Haute Horlogerie certifiée“, was die Uhr begehrt, den Hersteller glücklich und den Käufer ein gutes Stück ärmer macht.

Geblendet von so viel Haute Horlogerie erscheint uns das kleine, aber millionenfach benutzte „Swisse Made“fast ein wenig folkloristisch. Laut einer aktuellen Studie rechtfertigt der auf dem Zifferblatt (meist bei der 6) angebrachte Schriftzug einen um bis zu 50% höheren Verkaufspreis. Ist er das wirklich wert?

Die Verordnung „Swiss Made 2017“ besagt:

Eine Uhr ist als Schweizer Uhr anzusehen, wenn

  • die technische Entwicklung wie folgt in der Schweiz vorgenommen wird:
  • für ausschließlich mechanische Uhren: mindestens die mechanische Konstruktion und der Prototypenbau der Uhr als Ganze,
  • für nicht ausschließlich mechanische Uhren: mindestens die mechanische Konstruktion und der Prototypenbau der Uhr als Ganze sowie die Konzeption der gedruckten Schaltungen, der Anzeige und der Software
  • ihr Werk schweizerisch ist
  • ihr Werk in der Schweiz eingeschalt wird und
  • der Hersteller ihre Endkontrolle in der Schweiz durchführt und
  • mindestens 60 Prozent der Herstellungskosten in der Schweiz anfallen.

Den letzten Punkt finde ich wirklich „swiss made“, denn frei übersetzt bedeutet er: Den Großteil des Geldes stecken wir uns ein!“ – es sei ihnen gegönnt.

Genau wie den fleißiger Uhrenproduzenten auf der anderen Seite des Bodensees. Die Deutschen (eigentliche die Engländer) würfeln die Worte leicht durcheinander und schon haben sie das einstmals als Billigimport-Brandmarkung erfundene, heutige Qualitätsversprechen „Made in Germany“.

Da wollen auch die Uhrenhersteller im Schwarzwald und im Erzgebirge nicht abseitsstehen. Der Bundesverband für Schmuck und Uhren schuf so vor wenigen Jahren „Erkennbare Qualität und Zuverlässigkeit. Durch ein sichtbares Siegel.“ 25 heimische, meist kleine Hersteller nutzen seitdem das schwarz-rot-goldene Logo als Gütesiegel teutonischen Schaffens. Die bekannten Namen aus Glashütte glänzen auf der Liste mit Abwesenheit.

Die Vergaberichtlinien sind HIER nachzulesen.

Ebenfalls in den deutschen Farben gehalten ist das „Deutsche Manufakturensiegel“, das – wie soll es anders sein – der Verband Deutscher Manufakturen seit 2013 vergibt. Und der schreibt: „Mit dem Siegel werden Unternehmen ausgezeichnet, die nach dem Verständnis unseres Verbandes heute zu Recht als Manufaktur bezeichnet werden. Das Siegel gibt Orientierung und dient also zugleich dem Verbraucherschutz.“

Die Überprüfungskriterien finden Sie HIER. Für die Zertifizierung und die fünfjährige Nutzung zahlen Manufakturen wie Borgwart, Benzinger oder Hanhart dann 900,- Euro.

Gebühren oder Verbandsmitgliedschaften – beide Siegel sind in spätestens zweiter Linie ein Marketinginstrument von teilweise eigens dafür geschaffenen Verbänden, eine Vertriebshilfe aus teuer bezahlten Beratungs-Konzepten. Ich darf das sagen, ich komme aus der Branche (Marketing) und habe an mehreren solcher Konzepte mitgearbeitet.

Glashütte: Verträumtes Städtchen, Marke oder Qualitätsversprechen?

Dass solche Siegel und „Marken“ auch gerichtliche Nachspiele haben können, sehen wir in dem beschaulichen Städtchen Glashütte, das nicht von wenigen Horologikern als der Nabel der Uhrenwelt angesehen wird. Nirgendwo verschwimmt Ortsname und Markenzeichen zu einem weltweit bekannten Qualitätsversprechen. Ja, im beschaulichen Erzgebirge leben wirklich Menschen, es ist keine Uhrenmarke, höchstens ein Namenszusatz. In den letzten Jahren wird gefühlt jede Garage, jedes Kneipenhinterzimmer bis hin zur verfallenen Sternwarte (WEMPE) von Uhrenbastlern okkupiert, die die erste Adresse der deutschen Uhrenkunst auf ihr Briefpapier drucken möchten. Zwangsläufig kam es irgendwann zwischen den Uhreinwohnern (5 Mark in die Wortwitzkasse) und den Zugezogenen zu innigen Diskussionen über Qualitätsstandard und Augenwischerei. Nebst gerichtlichen Auseinandersetzungen. Die sogenannten „Glashütter Regeln“ und eine Fertigungstiefe von mindestens 50% schaffen nicht gerade Klarheit. Gerichtstermine, Insolvenzen, Umfirmierungen…man sieht welchen finanziellen Wert der Aufdruck „Glashütte“ auf dem Zifferblatt haben kann. Ohne eine geschützte Marke zu sein.

Sie sollten also sehr genau unterscheiden: Qualitätssiegel nach eindeutigen Prüfkriterien oder Marketing-Aufkleber zur Umsatzsteigerung. Und für Sie sollte das wichtigste Entscheidungskriterium sein: Find ich die Uhr wirklich schweinegeil oder nicht!

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