Von Grafen, Metern und sieben Siegeln – Teil I

„…nein, ganz billig war sie nicht, aber sie hat auch ein Chronographen-Zertifikat.“ Soweit und sehr verkürzt ein Gespräch zweier Uhreninteressierten. Es sei dem zweiten Diskutanten hoch anzurechnen, dass er – ob des Verwechselns von Chronograf und Chronometer – seinem Gegenüber keinen besserwisserischen Vortrag über die Fachbegriffe der Horlogerie gehalten hat. Es kann halt nicht jeder so eine Fremdwort-Konifere sein, wie ich es bin.

Jeder Berufsstand, Fachbereich oder jede Warengruppe weist ihre ganz spezifischen Qualitätsstandards, Gütesiegel und damit Unterscheidungsmerkmale auf. Produzenten und Kunden lieben gleichermaßen den Beweis für den kleinen oder großen, aber immer feinen Unterschied. Wenn schon für den Laien (und oftmals auch für den Fachmann) nicht direkt erkennbar, dann doch bitte deutlich sichtbar als Logo, Gravur, Stempel oder Zertifikat.

…da steht’s auf dem Chronografen gut lesbar: Chronometre

Im Bereich der hohen Uhrmacherkunst ist die Menge der Gütesiegel zwar überschaubar, für die meisten Kunden aber auch genauso undurchsichtig. Zum Glück kann jeder bei den „Uhrsachen“ was lernen, vor allem Herr Strohm selbst, der sich flugs in die Schweiz und nach Glashütte begab (online), um Namen und Zeichen zu entschlüsseln und deren Geheimnis mit Ihnen zu teilen.

Fangen wir klein und mit dem Einfachen an: dem Unterschied zwischen Chronograf (mit f oder ph) und Chronometer.

Der Chronograf, den wir Altgriechen gerne mit „Zeitschreiber“ übersetzen, ist einfach ausgedrückt eine Uhr mit zusätzlicher Stopp-Funktion. Erkennbar an mindestens einem, meist zwei Drückern an der rechten Gehäuseflanke. Dazu kommen zwei (Bicompax) oder drei (Tricompax) kleine „Hilfszifferblätter“, die sogenannten Totalisatoren, für die gemessenen Sekunden, Minuten und Stunden.

Bicompax: Zwei Totalisatoren bei der 3 und bei der 9.
Tricompax: Drei Totalisatoren, die in V-Form bei 3, 6 und 9 angeordnet sind. Benannt nach dem Uhrenmodell „Tri-Compax“ von Universal Geneve aus dem Jahr 1936.

Der Chronometer (griechisch Zeitmaß) ist keine zusätzliche Funktion, sondern eine Eigenschaft. Und zwar die geprüfte Eigenschaft des extrem genauen Gangs einer Uhr. Ausschlaggebend ist die Prüfung und die Zertifizierung. Zwar läuft jeder Chronometer genau, aber nicht jede genau laufende Uhr ist ein Chronometer. Es bedarf also einer genormten und hochwissenschaftlichen Prüfung, die lange Zeit alleine von der schweizerischen COSC, der „Contrôle Officiel Suisse des Chronomètres“ durchgeführt werden durfte. 15 Tage lang werden Rohwerke in fünf verschiedenen Lagen gemessen, wobei der „mittlere tägliche Gang“ in der Toleranz von -4 bis +6 Sekunden liegen darf. Die Prüfkriterien sind wesentlich detaillierter, ich belasse es hier beim Gang.

Bei aller Liebe und Qualität sollte einer älteren Dame auch ein wenig Verspätung verziehen werde.

Ein kleiner Besserwisser-Einschub zum Thema Gang und Gangabweichung. Geht die Uhr jeden Tag 4 Sekunden nach, hat sie keine Gangabweichung von 4 Sekunden, sondern einen „mittleren täglichen Gang von -4Sek/Tag“ gemessen an der Referenzzeit der Atomuhr. Die Differenz der täglichen Abweichungen zueinander, also die Schwankungen im Gang der Uhr, bezeichnet man dabei als Gangabweichung oder Gangfehler, meist abhängig von äußeren Einflüssen wie Temperatur oder Luftdruck.

Für Qualitätsprüfungen werden diese äußeren Einflüsse durch konstante Prüfbedingungen und das Prüfen in verschiedenen Lagen weitestgehend ausgeschlossen. Mechanische Uhren, die eine Gangprüfung einer offiziellen Gangkontrollstelle bestanden haben, dürfen als Chronometer bezeichnet werden. Qualitätsmerkmal ist hierbei ein möglichst konstanter mittlerer täglicher Gang, also ein geringer Gangfehler.

Seit September 2006 existiert in der „Sternwarte Wempe Chronometerwerke Glashütte i/SA“ eine deutsche Prüfstelle für Chronometer, die von der Schmuck- und Uhrenhändler Wempe KG betrieben wird. Die Grenzwerte für mechanische Armbanduhren entsprechen (nach DIN 8319-1) den oben genannten Schweizer Werten.Anders als in der Schweiz wird in Glashütte die gesamte Uhr getestet, nicht nur das Werk.

Ein Master Chronometer aus dem Hause Omega…

Nun darf man sich nicht vorstellen, dass die von der COSC geprüften Uhren an Einsamkeit sterben. Jährlich werden 1,8 Millionen Werke verschiedenster Hersteller auf ihre Ganggenauigkeit überprüft. Die Exklusivität des Chronometer-Aufdrucks auf dem Zifferblatt hält sich also markenübergreifend in Grenzen. Dem wollte OMEGA Ende 2015 mit seinem „Master Chronometer“ entgegentreten. So darf sich nur eine Omega nennen, die nicht nachgeht und nur maximal 5 Sekunden pro Tag vorgeht. Hut ab!

…und das superlative Gegenstück von Rolex

Das kann natürlich die Marke mit der Krone nicht auf sich sitzen lassen. Seit Jahren labeln sie ihre Uhren mit einem bescheidenen „Superlativ Chronometer“. Rolex hat ihnen eine maximale Toleranz von +/–2 Sekunden pro Tag vorgegeben. Wie bei Omega werden die Werke nach dem Test bei der COSC in die Uhren eingebaut und danach nochmals im eigenen Haus in Eigenregie getestet und reguliert. Es bleibt also festzuhalten, dass weder „Master“ noch „Superlativ“ offizielle Steigerungsformen eines Chronometers darstellen, eher extrem ganggenaues Marketing.

Wo wir gerade bei Marketing sind: Eine Chronometer-Zerti dient natürlich nicht nur der Ganggenauigkeit, sondern auch den Verkaufszahlen. Wer es wirklich mit der Zeit sehr genau nehmen möchte, dem bleibt (neben der Funk- und der Quarzuhr) nur der Chronometer. Die Pauschalisierung Chronometer = genau und teuer vs. „normale“ Mechanik = ungenau und preiswert hält einer Prüfung nicht stand. Ich bin mir sicher, dass jeder Sammler schon unzertifizierte Handaufzüge in Selbiger hielt, die sekundengenau ihre Arbeit verrichteten. Entsprechend gibt es in die Jahre gekommene Chronometer, die täglich eine halbminütige Verspätung hinter sich herschleppen (Achtung: das hat nichts mit Schleppzeiger zu tun!).

Natürlich gibt es Chronometer aus feinsten Manufakturen im hohen sechsstelligen Bereich. Aber auch das allseits eingesetzte und beliebte ETA 7753 kann auf extreme Präzision getrimmt werden. Ein preiswertes Beispiel ist der von mir im Blog bereits besprochene Chrono aus dem Hause Zeppelin. Als „…graph“ ist er für 1.499,- zu haben, der feinstregulierte „…meter“ schlägt mit 2.299,- zu Buche. Beide mit dem oben genannten ETA Werk.

Ach ja, zum Schluss des ersten Teils noch ein wenig Besserwissen für den Uhrenstammtisch: Auch für Quarzuhren gibt’s die Chronometerprüfung – sogar noch etwas strenger. So sind weniger als 400,- Euro nötig, um einen nagelneuen Certina-Chronometer am Handgelenk zu tragen. Nicht dass es mein Ding wäre – ich will‘s nur erwähnt haben…

Erfahren Sie im zweiten Teil den Unterschied zwischen Genfer Siegel und Genfer Streifen und warum fast alles was gut und teuer ist sein eigenes Gütesiegel eingeführt hat.

2 Comments

  1. Pele sagt:

    Ach schön! Gesehen, der Herr Strohm hat was neues im Blog. Daraufhin erstmal einen Espresso geholt, die Vorfreude genossen und es mir dann am Schreibtisch bequem gemacht und mich mal wieder gefreut. Danke dafür!

  2. Stephan Dietrich sagt:

    Es hat wie immer Spaß gemacht den Beitrag zu lesen, unterhaltsam und lehrreich.
    Vielen Dank!

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