Die ticken doch nicht richtig…die Politiker!

Wie eine kleine, bemitleidenswerte Gruppe von deutschen Bürgern sich selbst die Traumuhr verbietet. Ein Gastbeitrag von Sven Richter.

 Im Uhrenland Deutschland ist scheinbar nichts mehr unmöglich.

Das Geld für gute Uhren ist da: Millionen Deutsche verbraten im Jahr ein paar tausend Euro für Dinge, die nicht unmittelbar lebensnotwendig sind. Für Computer, Auto, Urlaub oder was auch immer. Sage mir keiner, diese paar tausend Euro wären nicht ebenso leicht in eine hochwertige mechanische Uhr investiert.

Die Akzeptanz für Luxusuhren ist ebenfalls da: Aufs Handgelenk fremder Leute gucken reflexartig sowieso nur andere Uhrenverrückte. Und der Rest würde beispielsweise den Träger einer Uhr mit dem Krönchen heute kaum noch automatisch in die Schubladen „fieser Zuhälter“, „gerissener Baulöwe“ oder einfach nur „blöder Angeber“ stecken. Luxusuhren sind fast schon Hipster-Accessoires, zumal dann, wenn sie ausreichend angejahrt sind.

Und zu guter Letzt: Auch am Angebot fehlt es nicht. Juwelier, Internet, Graumarkt – da ist doch für jeden was dabei. Eine bedauernswerte Gruppe von Leuten gibt es aber trotzdem in unserer Uhrenrepublik. Sie verbieten sich selbst die Traumuhr – obwohl sie in Reichweite wäre!

Diese Leute verdienen mehr als 10k monatlich. Sie laufen jeden Tag im Anzug herum. Sitzen regelmäßig mit DAX-Vorständen am Tisch. Zeitgenossen bescheinigen Ihnen ein robustes Ego, böse Zungen behaupten, sie hätten ein ans Ungesunde grenzende Geltungsbedürfnis. Wie auch immer, sie stehen gern in der Öffentlichkeit und sind echte Macher.

Aber an den Handgelenken dieser Leute baumelt trotzdem keine Rolex, Breitling oder Patek. Hier ist oft Galeria Kaufhof-Chic angesagt. Hastig ruckt der Zeiger über den Casio-Schriftzug auf dem Ziffernblatt. Am Armband ist das Chrom schon teilweise runtergewetzt. Man fragt sich unwillkürlich, ob das Modell ein liebgewonnenes Accessoire aus der Schulzeit dieser Leute ist.

Und das nicht, weil diese ominöse Gruppe von Menschen noch nie vom Thema Luxusuhren gehört hätte oder ihnen dieser Aspekt ihres Auftritts egal wäre. Im Gegenteil: Ihr neidischer Blick beobachtet oft die Grande Complication des Gegenübers im Meeting oder sogar die alte Datejust des eigenen Fahrers. Aber diese Leute müssen sich solche Genüsse berufsbedingt versagen. Oder glauben es zumindest.

Ich spreche von Politikern.

Stooooopp, werden Sie jetzt rufen. Es gibt doch im Internet hunderte Bilderstrecken à la „Die Uhren der Mächtigen“. Da ist doch alles dabei! Putins Patek und Clintons Panerai und Fidel Castro mit seiner Rolex!
Ja. Ist richtig. Aber es geht um Politiker in Deutschland. Minister. Abgeordnete. Parteichefs. Verantwortungsträger in einem reichen Land, in dem laut Verfassung die Wirtschaftsform „Marktwirtschaft“ gilt.
Aber eben auch in einem Land, das seinen Ex-Kanzler für Brioni-Anzüge und Zigarren im 20-Euro-Segment abgestraft hat. In einem Land, in dem man sich drüber aufregt, wenn ein Politiker – auf eigene Kosten wohlgemerkt! – mal zu einem Italiener geht, wo die Penne jenseits der magischen Zwölf-Euro-fünfzig-Marke zu Buche schlagen.

Deutschland ist streng mit seinen Mächtigen, strenger als Amerika und andere Länder, was persönlichen Luxus angelangt. Vielleicht haben Sie weiter oben mal gedacht: Okay, es geht in diesem Artikel offensichtlich um Leute, die beim Kauf einer Luxusuhr mit Liebesentzug einer Person bestraft werden, der sie sehr viel Einfluss auf ihr Leben und ihr Konto einräumen – klassischerweise der eigene Ehepartner. So ähnlich steht es hier auch: Nichts fürchtet der Politiker mehr als den Liebesentzug seiner Wählerinnen und Wähler und ein Minus auf dem Stimmenkonto. Da hängt schließlich der Job dran.

Was tun, ist jetzt die Frage. Denn Ührchen muss ja schon sein zum Anzug oder zum Kostüm. Schließlich ist „Zeit“ ein Schlüsselbegriff der Politiksprache („Zeit für mehr Gerechtigkeit.“). Und auch in der Realität ist die Zeit der unbarmherzige Taktgeber des eigenen Terminkalenders und der eigenen Politikerkarriere. Ein Politiker ohne Uhr am Handgelenk würde da schnell unbedarft rüberkommen.

Drei mögliche Antworten also auf die fatale Uhrenfrage aus Politikersicht:

  1. Hey, ich habs. Ich understate beim Uhrenkauf volle Kanne und verkauf das dem Wähler dann noch als Charaktermerkmal meiner Polit-Persönlichkeit. Ich geh dann mal zu Karstadt und lass mir ne schöne Quarz-Armani geben, dann denkt der Bürger: Okay, hat 300 gekostet, ist vertretbar, gönn ich mir ja auch unterm Weihnachtsbaum… Und irgendwas muss er ja tragen, was ihm die Zeit anzeigt, der arme Mann. Kann ja im Meeting nicht immer aufs Handy gucken. Der Soundso! Einer von uns.

Die berühmte ADAC-Astron ist kein Zeichen von Bescheidenheit, sondern ein Angriff auf die Netz- und Handgelenkhaut.

Diese Strategie klappt super. Indirekt ist hier die Kanzlerin so etwas wie ein Vorbild. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich glaube nicht, dass die Kanzlerin privat von einer Rolex träumt. Ihr ist es wirklich egal oder es muss nix Teures sein, was sie am Handgelenk hat. Aber an der positiven Presseberichterstattung über Merkels Bescheidenheit in Sachen Uhr haben die heimlich uhrenverrückten Understater diese Masche entwickelt: Merkel hat ne Uhr für 89 Euro! Die Gute. Mutti eben – nichts für sich, alles für’s Land. So will ich auch rüberkommen.
Deswegen gibt es erstaunlich viele Politiker, die auf diesen Zug aufspringen. Und im Laufe Ihres Lebens hunderte Euro für Batterien und irreparable Billiguhren ausgeben.

Andere sind ein bisschen besser dran und sagen sich:

  1. Okay, ich gönn mir. Aber muss ja nicht jeder wissen. Schließlich gibt es auch eine Reihe guter, mechanischer Uhren, die bei 99 Prozent der Bevölkerung so gut wie keinen Wiedererkennungswert haben. Und wenn doch mal ein Journalist im Internet nachsieht, dann ist es okay, eine Uhr im unteren Preissegment der mechanischen Zeitmesser zu besitzen. Also, liebe Leute bei Dugena, Junghans, Nomos, was habt ihr da so im Angebot?

Junghans Chronoscope – guter Geschmack muss nicht fünfstellig kosten.

Auch dieser Plan führt meist zum gewünschten Erfolg. Man kann gedankenversunken auf das wie von Zauberhand angetriebene, elegant gleitende Sekundenzeigerlein einer mechanischen Uhr starren wie andere Uhrenliebhaber auch. Und trotzdem macht man das Zifferblatt und sich selbst nicht zur Zielscheibe einer „Ey guckt mal, ich sitz hier mit Hartz IV und der…!“-Attacke.

Und dann gibt es da noch Variante drei. Die klingt so:

  1. Ich habe unendlich viel Stil. Eigentlich würde ich auf dem Sofa im Laden bei Jaeger-LeCoultre mit den anderen letzten Gentlemen dieser Welt zusammensitzen und über Komplikationen fachsimpeln. Aber hui, da ist diese echt fiese Neiddebatte in unserer Gesellschaft. Jetzt lass mal bei der Uhr auf Vintage machen. Und wenn jemand fragt, behaupten, die hat dem Opa weiland 1945 ein GI im Tauschgeschäft für eine halbe Sau überreicht. Die alte, goldene, Omega, die Opa mir dann zum 18. Geburtstag… Schnief…
Vintage Omega mit neuem Band

Omega Seamaster 30 – Alteisen in seiner schönsten Form.

Auch dieser Weg ist nicht selten und siehe da: Von Omega über Breitling bis hin zu Patek ist plötzlich alles erlaubt, sogar das Krönchen. Ja, es ist schon skurril, in welche Niederungen und Nischen des Uhrenkosmos wir unsere Politiker scheinbar drängen. Dabei wäre doch alles ganz einfach.

Liebe Politiker! Beweist Stil! Traut euch! Ladet euer Uhrentragen mit Kennerschaft auf und macht es zu eurem unique selling point in Sachen Stil. Stellt euch hin und sagt: Ich bin ein echter Typ und lass mich nicht verbiegen!
Geht beim Thema Uhren nicht? Doch. Joschka Fischer, genau, der von den Grünen, der mit den Turnschuhen, hat Rolex getragen. Niemand hat seine politische Kompetenz daran gemessen. Wer überall im Leben Kante zeigt, der darfs auch am Handgelenk tun. Das nennt man dann authentisch. Und Christian Lindner hat mitten im Wahlkampf seine IWC – oh Schreck! – gegen eine Rolex getauscht. Es blieb ruhig im Land.

Unsere Politiker dürfen also längst auf bessere Uhr-Zeiten hoffen. Und sie dürften eigentlich schon lange auch in Sachen Zeitmesser echte Bürgernähe beweisen. Indem sie das tun, was Millionen Deutsche tun, denen Uhren wichtig sind: Die Uhr tragen, die ihnen persönlich wirklich gefällt. Und wenn’s die Daytona in Gelbgold ist.

5 Comments

  1. drjsimonis sagt:

    Kann ich so nicht nachvollziehen. Ich kenne einige Politiker, nicht gerade aus der Spitzenpolitik, aber immerhin MdBs und MdLs, seit vielen Jahren beruflich und persönlich, und die tragen Uhren, wie andere Menschen auch. Billigste Plastikteile mit Werbeaufdruck, funktionelle Quarz-Uhren, von Pulsar bis Omega, oder eben auch „richtige“ Uhren nach unserem Geschmack. Für die wenigsten ist die „Uhrenfrage“ ein „Thema“. Ganz wie bei Nicht-Politkern auch. Die in dem Artikel unterstellte „Angst des Politikers vor der guten respektive teuren Uhr“ mag es natürlich im Einzelfall auch geben. Wie bei „normalen“ Menschen auch.

  2. Axel R. sagt:

    Aus meinem Bekanntenkreis weiß ich, dass Leidenschaften für Dinge ganz unterschiedlich verteilt sein können. Immobilie(n), Urlaub, Kunst, Autos, Uhren, Wein, Whiskeys, Klamotten – Der ein oder andere spart/sondertilgt auch gerne und will das Häuschen in Rekordzeit abbezahlen. Das muss man akzeptieren. Wäre ja auch schlimm, wenn jeder die gleichen Leidenschaften hätte Und dann gibts auch die, die möglichst bescheiden sein/wirken wollen, damit sie keine Kunden verlieren … anderen wiederum ist das egal. Ich mag nur die Spzezies von Mensch nicht, die einzig und allein aus Geltungssucht/Angeberei bestimmte Dinge tun oder haben, auf die kann ich gerne verzichten …

  3. Matthias Nowak sagt:

    Christian Lindner besitzt auch mindestens eine Panerai, genau so wie Markus Söder, der auf dem CSU-Parteitag eine Panerai trug.

  4. Stephan Schampaul sagt:

    Nun ja, ein paar Ausnahmen gibt’s dann doch:
    Winfried Kretschmann trägt ne Nomos Tangente (oder Tangomat), der Bundespräsident ebenfalls. An Renate Künast ist häufig eine Nomos Tetra zu sehen und ich glaube, der Ex-Ministerpräsident von RP, Kurt Beck, trug auch Nomos, vielleicht trägt er sie immer noch. Immerhin scheint diese Marke genügend Understatement zu haben, dass sie auch bei SPD und Grünen durchgeht. Und trägt Sigmar Gabriel nicht eine Daytona? Sieht zumindest ähnlich aus. Neid-Debatten oder Bashing habe ich dazu bisher noch nicht vernommen. Also: geht doch!

  5. Jupp Schmitz sagt:

    Immer wenn das Thema auf meine Rolex oder Breitling kommt, läuft die Argumentation ähnlich, d.h. die meisten meiner Bekannten könnten sich eine „Luxusuhr“ leisten, investieren aber lieber in teure Urlaube oder Autos. Sie scheuen das „Ansehen“.

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