Website-Icon Herr Strohms Uhrsachen

Ist Fake das neue Echt?

Wie bei Medien und Verbrauchern die Grenzen zwischen wertiger Marke und billiger Fälschung verschwimmen.

Samstagabend zur besten Sendezeit im deutschen TV. Auf der Bühne, singende junge Menschen, bekleidet mit allem, was die internationale Modewelt so in die Edelboutiquen liefert: Valentino, Desquared2, Balenciaga..
Ein Sweatshirt für 1.200,- Euro, ein Hoodie für 800,- Euro oder ein Jogginganzug für schlappe zweieinhalb. Dazu der Sammler-Turnschuh für einen Tausender und die gut sichtbare Rolex, für die man 36.000,- Euro auf die Ladentheke des Juweliers blättern müsste – wenn sie denn lieferbar wäre.

Das was sich hier rhythmisch auf der Bühne zum Halbplayback bewegt sind keine Superstars aus fernen Landen, sondern hoffnungsvolle „Talents“ aus Bonn, Berlin und Bitterfeld.
16-25-jährige Recall-Teilnehmerinnen, die in der Rubrik „Berufswunsch“ des Bewerbungsbogens mehrheitlich „Influencerin“ vermerkt haben. Die Älteren unter uns kennen diese Jobbeschreibung als Werbegesicht oder Markenbotschafter.

Die Marken prangen bei vielen bereits gut sichtbar für Kamera und Zuschauer auf dem Beinkleid, doch es bleiben erhebliche Zweifel an der Originalität der Ware. Anscheinend kein Grund für die Produktionsfirma mal nachzufragen oder einen Kleidungswechsel zu fordern. Während der (zurecht) aus der Sendung verbannte Juror großflächig verpixelt wird, darf der vermeintlich edle Zeitmesser weiterhin gut sichtbar die Mikrofon-Hand des Sängers schmücken. Das Fake ist endgültig in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

War das Unechte, das Plagiat vor Jahren noch ein Stigma der sozial Benachteiligten, so wird die Fälschung in einer breiten Bevölkerungsschicht zumindest geduldet. Die Ausrede für eine steigende Akzeptanz ist schnell zur Hand. Es wird von „überteuerter Markenware“ schwadroniert, von Luxus, den sich nur noch „die da oben“ leisten können.
Warum ein Hundertfaches für etwas ausgeben, das ich in angeblich gleicher Qualität auch schon für einen Zehner im Hinterzimmer des Importeurs meines Vertrauens kaufen kann.
Selbst „die da oben“ verladen tütenweise dreigestreifte Sneaker aus Kunstleder-Imitat und ungesund chemisch riechende Ronaldo-Trikots in ihre SUVs und verlassen glücklich lächelnd ob des Schnäppchens den Polenmarkt.

Auch die Kundschaft, die sich ein Original leisten könnte, hat schnell eine Rechtfertigung zur Hand. Es sei ja „nur“ für die Kinder, die in dem Alter doch so schnell aus den Klamotten rauswachsen. Das machen doch alle so und jeder weiß doch, dass es sich nicht um das Original handelt. Und alleine deshalb bescheiße man ja auch niemanden. Dann ist ja gut, wenn’s alle wissen und alle so machen. Und reich werde man schließlich vom Sparen und nicht vom Geld ausgeben. Und die Markenhersteller – die verdienen ja sowieso genug… notfalls an den anderen.

Fake ist halt billig – und billig einkaufen ist clever – und Geiz ist geil!

In den letzten Jahren haben wir alle dafür gesorgt, dass die Grenzen zwischen echt und unecht, dem Original und der Fälschung immer mehr verschwimmen. Wie selbstverständlich greifen wir im Discounter zum „Me-Too“-Produkt. Oft vom Hersteller des Originals abgefüllt, kapituliert hier die Marke vor dem Preis: Das Original, das sich selbst nachahmt, um auch die Preiswert-Nische nicht an die Konkurrenz abzugeben.

Und diese Nachahmungen sind zumindest die kleinen Cousinen der Fälschungen. Was haben wir nicht für Beschönigungen im Verkaufs-Repertoire.
In der Mode sprechen wir von „Zitaten“ eigener oder fremder Kollektionen. Von „Anleihen“ an die Großen der Zunft. In der Welt der Luxusuhren wimmelt es von „Hommagen“, Zeitmessern, die dem Original verblüffend ähnlich sehen, aber einen phantasievollen Eigennamen tragen. Wie man beim Diebstahl von Design und Technik den Bestohlenen noch gleichzeitig „ehren“ kann, ist mir ein Rätsel. Vorbei die guten alten Zeiten, in denen uns Großmutter noch mit Weisheiten wie „Nachgemacht – ausgelacht“ auf den rechten Pfad der Unversehrtheit geistigen Eigentums führte.

Das gerne angeführte und nie belegte Argument, dass billige Nachahmungen die „Einstiegsdroge“ zum teuren Original seien, klingt für die Markenrechte-Inhaber wie blanker Hohn.
Auch ist es kein Zeichen von ausgeprägtem Markenbewusstsein, sich im Urlaub eine gefälschte Rolex beim Strand-Konzessionär zu besorgen…als Ferienuhr…damit das Original im Hoteltresor bleiben kann…
Diesem Verhalten zuträglich ist übrigens auch die in Deutschland geltende gesetzliche Regelung, dass die Einfuhr und der Besitz von gefälschten Waren nicht strafbar ist. So darf ich auch deutlich als unecht erkennbare Urlaubsmitbringsel bis zu einem Wert von 430,- Euro – ausschließlich für den Eigenbedarf – in die Heimat einführen. Die Frage sei erlaubt: Warum??

Die Grauzone zwischen Fake und Original wird immer breiter. Alleine die Unterscheidung in schlechte und gute Fälschung ist eine Frechheit. JEDE Fälschung ist eine Straftat. Und nein, nur weil wir Otto Normalverbraucher das Echte nicht vom Falschen unterscheiden können, ist das noch kein Beweis für mangelnde Qualität oder Überteuerung des Originals. Attribute, die bei Luxusgütern meist schwer zu definieren sind.

Die Akzeptanz des nicht ganz so echten wird tatkräftig von unserem sozialen und politischen Umfeld unterstützt. Wir haben gelernt mit „alternativen Wahrheiten“ zu leben, warum sollte es also nicht auch alternative Markenprodukte geben? Zumal das Logo schön präsent draufsteht. Was drin ist? Wer schaut denn schon so genau hin?
Und wollen wir das überhaupt wissen? Durch die „preiswerten Alternativen“ können sich schließlich alle den so ersehnten Luxus leisten. Welch schöne Vorstellung.

Mit dem kleinen Fehler, dass wir damit nicht nur den Luxus für wenige, sondern die Markensicherheit für alle abschaffen. Denn Marken stehen auch für geistige Leistung, Investition, Kompetenz und Qualität. Wo keine Marke mehr, da auch kein Markenpirat. Kein Original, das es zu fälschen gibt. Nur Einheitsbrei und (wenn wir Glück haben) Mittelmaß.

Solange wir mehr Kreativität in Ausreden als in die Markenpflege stecken, solange es den Herstellern hochwertiger Uhren nicht gelingt, Qualität und Leistung zu argumentieren – solange wird „billig“ das beliebteste USP auf dem Markt sein.
Das einzig wirkungsvolle Mittel gegen Nachahmer sind die Vordenker. Die Weiterentwickler und Neuerfinder. Die Kreativen, die einen Markenkern so exakt und kundenorientiert herausarbeiten, dass der Fälscher immer hinterherhinkt. Unterstützt von den Medien, die Fälschungen und Nachahmern keine Plattform bieten dürfen.
Der neue Luxus muss es sein, ein Original zu besitzen, bei dem sich alle sicher sein können, dass es wirklich ein Original ist.

Die neue Botschaft lautet:

Eine Fälschung ist eine Fälschung ist eine Fälschung – Fakes are for fake people!

Die mobile Version verlassen