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Rolex – der schmale Grat zwischen Luxus und Protz

Oder: Lustobjekt mit 41.

Hinweis: Dieser Artikel enthält weder Bilder, technische Details noch Testergebnisse der neuen Rolexmodelle. Ich sag’s nur, nicht dass Sie nachher enttäuscht sind.

Es ist geschafft. Der Tag, der als „9-0-1“ in die Geschichte eingehen wird ist vorüber, jedenfalls in Deutschland. Für die Unwissenden ein ganz normaler Dienstag, für uns Insider „DER TAG AN DEM ROLEX SEINE NEUEN MODELLE VORSTELLTE“.
Traditionell ein Feiertag nicht nur in der Schweiz, sondern auch in den chinesischen Fabriken, die nun endlich die neusten und verbesserten Versionen ihrer Fakes auf den Markt werfen können.

„Die neue Submariner – die Eroberung der Tiefe“, so prangt es auf der Kronen-Homepage. Wo es doch eigentlich die Eroberung der Breite heißen müsste. Denn das Neue und ebenso Sensationelle an den Submariner-Modellen ist der Raumgewinn von exakt einem Millimeter im Durchmesser. Nicht irgendein Millimeter, sondern genau der Zehntel-Zentimeter, auf den die Welt gewartet hat.
Nun gut, vielleicht hat der ein oder andere auf eine bunte Lünette gehofft, auf irgendeine Komplikation oder ein Kautschukband in der Geschmacksrichtung Knoblauch-Nuss. Das Netz war und ist voll von Wünschen und Hoffnungen, Halbwissen und Verschwörungstheorien. Und bekommen hat die Welt genau einen Millimeter.

Meine persönliche Meinung? Sieht gut aus, ein Schritt in die richtige Richtung. Nicht mehr und nicht weniger. Bei jeder anderen Uhrenmarke wäre das (wenn überhaupt) eine Randnotiz, eine kleine Änderung im Datenblatt. In der treuen Gemeinde der Rolex-Gläubigen ist es das Datum, an dem Wunschzettel und vor allem Wartelisten neu geschrieben werden. Bei beiden möchte man mindestens auf Blatt eins stehen, wenn nicht sogar in den Top Ten.

Bis zum Ende des ersten Tages wird wohl jeder seinen Kommentar in den sozialen Netzwerken abgegeben haben. Und ich glaube auch bereits gelesen zu haben, dass seit Erscheinen dieser neuen Modelle die Fallzahlen von Corona und Reichsbürgertum halbiert wurden. Was ein Millimeter Krone doch so alles bewirken kann. Die Welt wird eine bessere…
Doch kommen wir nun zum eigentlichen Thema dieses Beitrages, den überschriftlich erwähnten Gebrüdern Luxus und Protz. „Was hat denn eine Submariner mit Luxus zu tun?“ wird mir der Rolex geneigte Leser zurufen. Meine ehrliche Meinung? Nix!

Denn für die meisten Träger der hochpreisigen Zeitmessung beginnt der „wahre“ Luxus in den Regionen ab 15 bis 20.000,- Euro (wir reden von der UPE!!). Auch behauptet so mancher Besitzer einer Stahl-Sporty, dieser robuste, funktionale und praktisch unzerstörbare Dreizeiger sei ein unverzichtbares Überlebens-Tool für Büro und Dschungel – also meilenweit entfernt vom schnöden Luxus. Ich sehe dies genauso – wenn man die Uhr so einfach vom Träger lösen könnte.
Jetzt muss ich aufpassen was ich schreibe, denn ich selbst habe oft und gerne eine 14060 am Handgelenk, manchmal sogar meine geliebte 16700 Pepsi.

Ich fange mal in den Siebzigern an, die genauso golden waren wie die brilliantenbesetzte Rolex am Handgelenk des kiezansässigen Frauenvermieters. In meinen Kindertagen war die Marke besetzt mit dem Vorurteil der Ludenuhr, eine Berufsgruppe, die damit ihren Status offensiv zur Schau stellte. Otto Normalverdiener trug in diesen Jahren Quarz, der Zuhälter eine „Prolex“ und den Schlüssel eines amerikanischen V8 in der ausgebeulten Tasche seiner Schnellfickerhose.

Mit der Renaissance der mechanischen Uhr gelang es auch der Marke mit der Krone sich aus den Seitenstraßen der Reeperbahn und der gedanklichen Schmuddelecke der neuen Kunden zu verabschieden. Was umso schneller gelang, je weniger Edelmetall und -stein an der Uhr verbaut wurde. In den Zweitausendern mauserte sich vor allem die Submariner zu einer „vernünftigen Wahl“ für Uhrenkenner und zur Uniform für Bonus-Empfänger, die  Qualität und Verarbeitung in die Kaufentscheidung mit einbezogen. Und zum ersten Mal hielt das Zauberwort „Wertbeständigkeit“ Einzug in den Sprachgebrauch der Rolexionisten. Dort ist es dank tourettemäßigem Gebrauch bis heute als eine der meistbedienten Attribute fest verankert.

Dann kamen die sozialen Medien, in denen nur der ein wirklicher Held ist, der auch den fotografischen Beweis seiner monetären Potenz liefern kann. So strömten Heerscharen von Zweierteams in die Luxusautohäuser der Welt, um für Facebook, Insta und Co smartphonetisch festzuhalten, was die Likes und Klicks (und den Blutdruck des Verkäufers) in die Höhe treibt. Während Person A das Verkaufspersonal ablenkt, rutscht Person B mit Rolex-Fake links und Fotohandy rechts auf den Fahrersitz des Luxusschlittens und erschafft das bekannte Kunstwerk „Hand mit Rolex an Ferrarilenkrad“. Mit Hashtags wie #scheissaufarmut oder #fuerdichduopfer pusht man so das Image von Uhrenmarken auf ein ganz neues Level. Das nennt sich „posen“, oder wie wir Älteren so schön sagen: Pseudoprotz!

Bevor Sie jetzt glauben, derlei Selbstdarstellung sei auf Heranwachsende und China-Nachbauten reduzierbar, wechseln wir die Location und damit zum Unterschied zwischen Luxus und Protz.
Schauplatz ist ein rein fiktiver Edelitaliener in jeder möglichen Mittelstadt in Deutschland. Es trifft sich gut, dass man sowohl Pizza als auch die meisten Pasta-Gerichte einhändig essen kann. Während die rechte Hand die Nudel dreht (ich weiß, das hört sich jetzt komisch an…) liegt das linke Handgelenk gut sichtbar auf dem Tisch, noch besser: ragt leicht auf den Ellenboden gestützt in die Höhe. Dies sorgt für den freien und neidischen Blick der Nachbartische auf das Schmuckstück am Handgelenk, in diesem Fall die begehrte GMT Master II in der Version „Pepsi“ und der sechsstelligen Referenz. Nun zur Definition:

Der Träger einer Uhr mit einem Listenpreis von momentan 8.800,- Euro zeigt, dass er gewillt und finanziell im Stande ist, diese Summe auszugeben. Ein Kaufpreis, der weit über dem Durchschnittspreis einer Armbanduhr liegt. Das nennt man Luxus.

Die Szene beim Edelitaliener spiegelt etwas anderes wider. Der Träger der Uhr weiß, dass alle anderen wissen, dass diese Uhr zwar einen Listenpreis von 8.8k hat, aber nirgendwo zu bekommen ist. Allen Beteiligten ist bekannt, dass der Träger mal locker das Doppelte auf den Tisch legen musste. Und die Tatsache, dass er es tat beweist, dass ihm Listenpreise völlig egal sind. Denn für ihn zählt nur der Besitz, nicht der Preis und auch nicht die Uhr. Sie ist nur Mittel zum Zweck. Und das definiert man dann als Protz.

Sagte ich bereits, dass die Uhr eigentlich nix dafür kann? Die arme Sub ist auch völlig außen vor, denn dem Protzer geht es um das Statussymbol. Und das lebt von der deutlichen Erkennbarkeit, was bei der Pepsi dank blau-roter Lünette gegeben ist.
Das Image von Produkt und Besitzer leidet sogar im Auge so manches Betrachters, wenn bekannt wird, dass er nach „erheblicher“ Wartezeit dann aber „zum Listenpreis“ gekauft hat. Ein wahrer Held kauft wann er will und so teuer es sein muss. Die Begehrlichkeit wächst also proportional zum überzogenen Preis. Und so wird auch die neue 41mm-Submariner Mittel zum Zweck für so manchen Selbstdarsteller, der sich am liebsten neben der Uhr eine rot blinkende „41!!“ an den Arm montieren würde.

Dass die inneren Werte der Uhr, also das neue Kaliber, eine absolut untergeordnete Rolle spielt, zeigen mir die fast täglichen Gespräche mit Rolexbesitzern. In denen bleibt die Technik außen vor, alles dreht sich nur noch um Verfügbarkeit und Werterhalt…falsch…Wertsteigerung. Denn wie selbstverständlich geht der Besitzer davon aus, dass sich der Wiederverkaufspreis seiner geliebten Krone ab dem ersten Tag nur in eine Richtung bewegt: nach oben.
Im Leben dieser Spekulanten gibt es neben dem Termin der Neuerscheinung noch einen zweiten Feiertag: Wenn die ersten an den Kunden ausgelieferten Modelle von genau diesen „Liebhabern“ auf den Online-Marktplätzen der Welt feilgeboten werden. Aufschlag 100% – fürs Erste. Mal schauen, was die anderen so haben wollen. Bei Aktien nennt man so was Emissionskurs. Und ab dieser Sekunde ist die Uhr nichts anderes als ein Spekulationsobjekt.

Natürlich ist das nicht nur bei Rolex so, die Preise für bestimmte Modelle von Patek Philippe oder Audemars Piguet entwickeln sich auf dem „zweiten Markt“ noch rasanter. Aber zumindest PP definiert die Spekulationsblase bei den hauseigenen Produkten als Problem, das es zu bekämpfen gilt. Die Inhaberfamilie scheint erkannt zu haben, dass die Reputation der Marke innerhalb der bevorzugten Zielgruppe der Sammler (und Behalter) stark durch den gewerblichen wie privaten „Graumarkt“ leidet. Sie wissen zwar, dass es immer einen Handel mit gebrauchten Uhren geben wird, doch sollten diese älter als ein paar Tage sein. PP kauft jährlich über 100 Uhren selbst auf, um die Wege ihrer Produkte nachvollziehen zu können.
Der Juwelier René Beyer lässt seine Kunden sogar ein Formular unterschreiben, dass sie die bei ihm gekaufte Luxusuhr nicht innerhalb der nächsten fünf Jahre weiterverkaufen. Wer dagegen verstößt, dem droht die interne schwarze Liste.

Und was tut Rolex? Das was sie immer tun: sie schweigen. In vielen Fällen kann das die richtige Taktik sein. Wenn zum Beispiel die Gerüchteküche im Netz ein verlockendes Menü anbietet mit der Vorspeise „Rolex hat schon lange Patek gekauft“ und dem Hauptgang „Rolex schmeißt alle Konzis raus und verkauft nur noch selbst“. Nein, man muss nicht jeden Mist kommentieren.
Doch auf die Bedenken der eigenen Kundschaft sollte man schon eingehen. Wer schweigt, der überlässt anderen die Meinungshoheit. Intransparenz schützt nicht vor der Verbreitung von Nachrichten, weder richtigen noch falschen.

Wenn der Hersteller nicht mit dem Kunden kommuniziert (und damit ist nicht das Verteilen von Pressemeldungen gemeint, sondern Frage und Antwort), dann macht sich Kritik und schlechte Laune ungezügelt und unkommentiert in den Netzwerken breit.

Ich persönlich bin der Meinung, dass das keine Marke auf Dauer unbeschadet überstehen kann. Wer auch nur in begrenztem Maße Spekulanten freien Raum lässt, wer in der heutigen Zeit zu hochsensiblen Themen wie Protz und damit einhergehender sozialer Spaltung nicht Stellung nimmt, der verliert als gesellschaftlich verantwortliche Marke an Glaubwürdigkeit. Und damit genau die Kunden, die man doch so gerne in den Stores hätte.

Die Zielgruppe ist enorm treu, aber auch enorm sensibel. Und sie lässt sich bei einem Imageverlust „ihrer“ Uhrenmarke auch nicht mit 41 Millimeter bei Laune halten.

Sollten Sie einer ganz anderen Meinung sein, ich freue mich auf Ihre Kommentare. Ich gehe nur kurz in die Küche und hole mir Cola und Popkorn…

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