„…und schuld daran ist Amazon!“

Ist der Online-Riese wirklich der Tod des deutschen Einzelhandels? Oder vielleicht eine Chance und seine Rettung?

Wütender Protest, tausendfach geteilt in den sozialen Medien

Dezember – die Zeit der Lichter, der Besinnlichkeit und des Kaufrausches. Wenn auch in diesem Jahr pandemisch gebremst und hinter Masken versteckt. Wenn es ums Schenken geht, ist das Netz nicht nur voll von Sonderangeboten und Weihnachtspullis, sondern auch von Warnhinweisen des deutschen Wuthändlers: „Wenn der letzte Laden in der Fußgängerzone geschlossen ist, wenn das letzte Schaufenster dunkel…dann wisst ihr, dass alles, aber auch wirklich alles Amazon zu verdanken ist!“ Thesen, die auch in der Uhren- und Schmuckbranche gerne geteilt werden.

Diese Mitschuld am Tod des regionalen Einzelhandels teilt sich Jeff Bezos, der reichste Mann der Welt und Chef des Online-Riesen, momentan mit Corona. Was für so manchen Vegan-Koch die Vermutung nahelegt, dass nicht nur Bill, sondern auch Jeff hinter dem angeblichen Virus…aber lassen wir die Verschwörungstheorien.

Bevor ich zu den Fakten komme, eins vorab: Dies ist kein Artikel pro Amazon oder Onlinehandel. Vor allem keiner gegen regionale oder stationäre Händler. Mir ist bewusst, dass Amazon jede Menge Luft nach oben hat, was steuer- und arbeitsrechtliche Belange betrifft, und vor allem, wie die Plattform mit den eigenen Händlern umgeht, besser gesagt versucht sie zu umgehen. Ich möchte nur dazu anregen, etwas differenzierter zu denken und zu argumentieren. Denn „Schuld daran ist nur Amazon“ ist eine wirklich zu einfache Lösung. Wir wissen alle, dass gravierende Probleme nicht mit einfachen Lösungen zu beseitigen sind. Unbestritten hat der Einzelhandel in dieser Zeit ein gravierendes Problem.

Wie es sich für einen Uhrenblog gehört, möchte ich in einigen Punkten besonderes Augenmerk auf die Uhrenbranche legen und die Besonderheiten, mit denen Hersteller und Händler sich gegenseitig das Leben schwer machen.

Ein paar Kennzahlen vorweg

Der stationäre Handel, zu dem Fachmärkte, aber auch kleinbetriebliche Fachgeschäfte gehören, machte 2019 in Deutschland einen Umsatz von 485 Milliarden Euro (427 Mrd. in 2010). Der Onlinehandel brachte es im vergangenen Jahr auf 59 Mrd. Euro (nur 1 Mrd. in 2010). Das durchschnittliche jährliche Wachstum des stationären Handels seit 2010 lag bei 2%, das des Onlinehandels hingegen bei 15%. Sie sehen, der klassische Handel verliert nicht, er wächst, wenn auch auf niedrigem Niveau.

Etwa 900 Millionen werden hierzulande mit Luxusuhren umgesetzt. Knapp die Hälfte davon im kleinbetrieblichen Fachhandel, 18% über Filialisten wie Wempe, Rüschenbeck und Bucherer. Und 0,05% durch mich. 🙂

Onlinehandel = Amazon?

Betrachten wir den Onlinehandel alleine, hält Amazon daran einen Anteil von 48% – fast jeder zweite im Netz ausgegebene Handels-Euro läuft durch die Bücher von Amazon, auch wenn nicht alles in deren Taschen landet. Jeffs ehemalige Bücher-Bude bringt es damit auf 5,2% des gesamten Handelsvolumens in deutschen Landen. Tendenz steigend.

Wussten Sie eigentlich, wer auf Rang zwei der Internet-Händler in Deutschland liegt? Es ist ein Traditionsunternehmen aus Hamburg, das schon unsere Großeltern mit Paketware versorgte. Zu einer Zeit, als Internet noch Katalog hieß und Onlineshopping als Versandhandel bekannt war. Die Otto-Group (otto.de, About you…) bringt es auf einen Jahresumsatz von 5,5 Milliarden Euro, weit vor Zalando mit 1,6 Mrd. Euro.

Nicht gerade ein Schnäppchen, aber ja, man kann bei amazon.de auch Rolex kaufen

Amazon = Onlinehändler?

Die Zeiten, in denen Amazon ausschließlich Bücher auf eigene Rechnung versendete, sind seit Langem vorbei. Irgendwann in den letzten Jahren hat jeder Kunde erfahren müssen, dass die Ware, die er auf amazon.de geordert hat, nicht vom Namensgeber direkt kommt, sondern von externen Händlern zugeliefert wird. 60% des Handelsvolumens von Amazon machen externe Händler, die den Marktplatz als reine Plattform nutzen. Amazon Deutschland listet 240.000 Verkäufer, ein Großteil gewerbliche Händler, die ungefähr zur Hälfte aus Deutschland kommen. Geschätzte 80-100.000 deutsche Händler verdienen also ausschließlich oder teilweise ihre Brötchen auf und mit Amazon. Unternehmen, die Arbeitsplätze schaffen und in Deutschland Steuern zahlen.

Onlinehändler vernichten Arbeitsplätze?

Bleiben wir beim Handelsriesen direkt: Amazon beschäftigt momentan in der Bundesrepublik über 20.000 Arbeitnehmer in Festanstellung. Das Umsatzplus durch Corona führt in Deutschland zum Aufbau mehrerer tausend Arbeitsplätze in den nächsten 12 Monaten. Zitat Amazon: „Kleine und mittlere Unternehmen, die bei Amazon.de verkaufen, haben bis dato zusätzlich 120.000 Arbeitsplätze geschaffen.“ Weltweit wird der Konzern bald die Schallmauer von einer Million Angestellten durchbrechen. Insgesamt werden die Arbeitnehmer in Deutschland, die im E-Commerce ihren Lebensunterhalt verdienen, auf eine niedrige sechsstellige Zahl geschätzt. Plattformen wie ebay, etsy und Co. haben es zigtausenden Deutschen ermöglicht, ihr eigenes kleines Business aufzubauen – und aus der Arbeitslosenstatistik zu verschwinden.

Stationärer Handel = Fachgeschäft?

Nicht jeder kann sein Ladenlokal halten

Die Gleichsetzung des stationären Handels mit dem kleinbetrieblichen Fachgeschäft ist genauso romantisierend wie falsch. Wer in lokalen Geschäften kauft, belebt damit nicht automatisch die ortsansässigen Fußgängerzonen. Denn die bieten nicht die Quadratmeter, die die meisten Fachmarkt-Filialen benötigen. 86.000 Filialisten, Fach- und Großflächenmärkte sind der Gegenentwurf zum traditionellen Familienbetrieb, der in neunter Generation die Gemeinde mit Wurst und Käse versorgt.

Den Konkurrenten „auf der grünen Wiese“ scheint der innerstädtische Einzelhandel vergessen zu haben, seit er im Internet den Handelsfeind Nummer 1 ausgemacht hat. Unter dem Oberbegriff des stationären (im Gegensatz zum internetbasierten) Handels tummeln sich verschiedenste, teilweise gegenläufige Interessen, was ich gleich bei den Internetaktivitäten der Händler deutlicher ausführen werde.

Stationärer Handel vs. Onlinehandel?

„Wer online kauft, der schadet dem stationären Handel!“ Diese Weisheit ist so simpel wie falsch. Meiner Meinung nach sollte sie eher lauten: „Wer online VERkauft, der schadet dem EIGENEN stationären Handel!“

Zur Verdeutlichung ein kleiner Blick auf die Internetaktivitäten der deutschen Händler. 98% von ihnen haben eine Website. Über ein Drittel bieten ihre Waren auch bei Amazon, ebay oder einem eigenen Shop im Internet an. Das sieht ja glatt so aus, als sei der größte Konkurrent des stationären Handels der stationäre Handel. Und niemand redet drüber… Leider nutzt aber nur jeder vierte Händler die sozialen Medien, um kostenlos auf sich und sein Angebot aufmerksam zu machen. Tue Gutes und rede drüber, damit Kundschaft auch in dein Geschäft kommt – für 74% anscheinend keine Option. Aber online setzt sich ja sowieso nicht durch…

Als „HelloFresh“ noch Tante Emma hieß

Beim erfolgreichen Handel gibt es kein entweder – oder. Erfolgreich sein kann nur, wer alle Verkaufskanäle für sich nutzt. Und dazu gehört nun mal der Onlinehandel – auch der über die großen Plattformen. Denn diese bieten gerade den kleinen Händlern eine einfache und ausgereifte Shop-Technik, die sie sich bei einer individuell programmierten Lösung nie leisten könnten. Vom automatisierten Inkasso und der aufwendigen Warenpflege mal ganz zu schweigen.

Natürlich müssen Geschäfte schließen, weil sie mit der Internet-Konkurrenz nicht mithalten können. Aber zigtausend Händler können sich das Ladenlokal nur leisten, weil sie zusätzlichen Umsatz im Netz generieren. Das kleine Antiquariat, das den Großteil seiner Bücher über den eigenen Amazon-Marktplatz verkauft. Der Bäcker, der weltweit leckere Stollen über seinen jimdo-Shop vertreibt, weil seine ehemalige Stammkundschaft jetzt lieber die Discounter-Kekse unter den Tannenbaum legt. Dabei zeigen sich auch ganz deutlich die (oben bereits angesprochenen) verschiedenen Online-Welten des stationären Handels: Hier die selbstgestrickte Internetlösung von http://www.tante-emma.de, dort die Mega-Online-Shops der Handelsriesen Mediamarkt (Platz 4 des deutschen Shop-Rankings) und Lidl (Platz 6).

Service und Beratung bietet nur der Fachhandel?

Aha, soso, seit wann das denn? Erzählt nicht jeder von uns mindestens eine Story von inkompetentem und unfreundlichem „Fachpersonal“? Ich sage nur: Baumarkt. Die Älteren unter uns kennen noch den Begriff der „Servicewüste Deutschland“. Die anscheinend auf wundersame Weise bewässert wurde, seit es den Online-Handel gibt.

Natürlich ist es ein Service, wenn mir die Verkäuferin in der Hosenabteilung bei der halbstündigen Suche meiner Beinlänge im deckenhoch gestapelten Jeanshaufen behilflich ist. Online bedarf es da schon eines selbstständigen Klickens auf:

Herren >Bekleidung >Jeans >Größe >Suche

Um nach wenigen Sekunden Dutzende Hosen zur Auswahl zu haben. Ich lehne mich jetzt mal ganz weit aus dem Fenster: Auch das könnte man Service nennen.

Wenigstens in der Beratung ist der Fachhandel unschlagbar, oder? Schade nur, dass 84% aller Interessenten sich vor dem Kauf im Netz über das Produkt informiert haben, inkl. Preisvergleich und Testergebnissen eines Sortimentes, was in der Größe selbst der Flächenmarkt nicht bieten kann. Dazu kommt, dass 77% der Käufer den Preis als wichtigstes Entscheidungskriterium ansehen. Die Beratung landete da ziemlich abgeschlagen im hinteren Teil des Feldes. Ganz davon abgesehen, wer sagt denn, dass Fachhandel und entsprechende Beratung nicht auch online funktioniert? Ich selbst betreibe einen sehr beratungsintensiven Handel für Luxusuhren – online. Ich verbringe viel Zeit am Tag damit, meine Kunden zu beraten. Schriftlich mit ausführlichen Informationen in den Angebotstexten und persönlich / telefonisch in Beratungsgesprächen, die im Schnitt über eine Stunde dauern.

Vertrauen und Beratung ist die Grundlage eines jeden Geschäftes, bedarf aber keines Ladenlokals.

Wer macht den nun dem Einzelhandel das Leben so schwer?

Ja, es ist auch Amazon, ja, es ist auch der Online-Handel und die damit veränderten Einkaufgewohnheiten der Deutschen. Aber nicht ausschließlich. Dass sich die Händler oft selbst im Weg stehen, habe ich oben bereits beschrieben. Dazu kommt häufig die fehlende Flexibilität im Umgang mit den „neuen“ Medien. Das Beharren auf dem tradierten und ausschließlichen Verkauf über die Ladentheke. Und manchmal auch die fehlende Reflexion des Geschäftsmodells und Warensortiments.

Die Verödung der Innenstädte, die utopischen Mietvorstellungen der Immobilienbesitzer und die damit einhergehenden Leervermietungen. Alles ein Teil des Problems. Eine Fußgängerzone gewinnt durch die siebte Spielothek, die zwölfte (bestimmt sehr leckere) Dönerbude und das sechste Matrazenoutlet nicht unbedingt an Attraktivität. Es fehlen Strukturkonzepte von Städten und Handelsverbänden genauso wie Parkplätze und sichere Tiefgaragen.

Und dann wären da noch die Hersteller

Meinen letzten „Problempunkt“ möchte ich anhand des Uhrenhandels verdeutlichen. Er gilt allerdings für die meisten Warengruppen, wird aber gerne aufgrund der hohen Abhängigkeit der Händler verschwiegen. Ich rede von den Produzenten der Waren, die der Handel in seinen Ladengeschäften an Mann und Frau bringen möchte. Vor etwa zwanzig Jahren war der Absatzweg stringent und alternativlos: Hersteller – Händler – Kunde. Der Hersteller produziert, der Händler verteilt und hat den alleinigen Kontakt zum Endverbraucher. Das war die Zeit, als es noch „Fabrikverkäufe“ gab, bei denen man für jedes gesparte Prozent Dutzende von gefahrenen Kilometern in Kauf nahm.

Heute haben die Hersteller längst die digitalen Vertriebswege für sich entdeckt. Mit eigenen Online-Shops, Internet-Blogs und Instagram-Accounts. Der Vertrieb geht jetzt digital, die Marketingabteilung macht jetzt Social Media. Das alles fehlt dem kleinen Einzelhändler, ebenso wie die Marge, die sich der Hersteller selbst in die Tasche steckt. Je nach Marke immerhin zwischen 25 – 45% des Verkaufspreises. Kein schlechtes und ebenso notwendiges Geschäft, wenn der Hersteller gleichzeitig Händler ist. Und wenn es ihm in Krisenzeiten das Überleben sichern muss.

Natürlich haben einige Produzenten auch die Verkaufsplattformen für sich entdeckt. Nicht unbedingt Amazon und ebay, aber deren angeblich exklusive Verwandte wie „brands4friends“, „vente-privee“ & Co. Da haut man dann schnell mal 200 Luxusuhren mit bis zu 45% Rabatt raus. Eine Nachlasspolitik, die man den eigenen Konzessionären streng untersagt und mit Entzug von Liebe und Ware droht.

Dabei darf man allerdings nicht vergessen, dass schätzungsweise nur 5-6% aller Luxusuhren online verkauft werden. Die Onlinehändler hoffen, bis 2025 den Anteil auf 20% zu erhöhen.

Die Konkurrenz zwischen Hersteller und Händler herrscht nicht nur online, sondern auch in direkter Nachbarschaft zum Juwelier auf der Edelmeile. Der sogenannte „Flagship-Store“ verkauft ausschließlich eine (eigene) Marke in feinstem Ambiente. Der „Multibrand-Store“ vereint mehrere Marken eines Luxuskonzerns hinter den panzerverglasten Schaufenstern. Konkurrenzlos in den eigenen vier edlen Wänden. Gerne auch mit Sonder- und Boutique-Editionen, die nie in der Auslage eines gewöhnlichen Händlers landen.

Hersteller gehen online – Onlinehändler werden stationär.

Dass die Transformation vom Ladengeschäft zum Onlineshop auch umgekehrt funktioniert, zeigt das Beispiel „Chronext“. Der erfolgreiche Onlineshop bietet seine 7.000 Luxusuhren nicht nur online an, der Kunde kann sie auch in weltweit 11 sogenannten „Pick-Up-Lounges“ persönlich abholen. Was natürlich wenig mit stationärem Handel zu tun hat, nein, nein… Selbst ich habe entdeckt, dass nichts über den persönlichen Kontakt zu den Kunden geht und habe den „Herrensalong“ eröffnet (www.herrensalong.de). Showroom, Eventlocation und…Pick-Up-Lounge.

Und natürlich gibt es die speziellen Plattformen für den Uhrenhandel, um seine Ware auch online anzubieten und gleichzeitig zu jammern, dass keiner in den Laden kommt. Bei „chrono24“ tummeln sich über 3.000 Händler, die die professionelle Plattform dem eigenen Online-Shop vorziehen. Schauen Sie doch mal in deren Händlerliste – Sie werden einige Bekannte treffen.

Quo vadis Einzelhandel?

Ja, Menschen können lächeln, vielen Händlern ist aber das Lachen vergangen

Meine persönliche Meinung: der qualifizierte Einzelhandel hat immer eine Chance, wenn er nun wirklich qualifiziert ist. In den Disziplinen Vertriebswege, Sortiment, Service und Beratung. Die beiden letzten Punkte bedeuten vor allem die persönliche Bindung von Verkäufer und Käufer. Es heißt ja auch nicht „Frau Emma“, sondern „Tante Emma“: familiär, ehrlich mit Herzblut. Dafür gibt es die sozialen Netzwerke, die wesentlich mehr können als Selfie und Katzenbildchen. Sie sind nicht bei Facebook und Instagram angemeldet? Dann werden Sie auch nie erfahren, was Ihre Kunden dort über Sie schreiben…

Nicht in Zukunft, sondern jetzt schon (!!!) funktioniert nur die individuelle Kombination aus online und offline, Internet und Ladenlokal.

Da ein eigener Onlineshop für 90% der Händler sowohl in technischer als auch in logistischer und personeller Konsequenz nicht zu stemmen ist, bieten Plattformen eine gute Alternative. Auch wenn gerade Amazon mit Vorsicht zu genießen ist. Es muss über eine Splittung des Angebotes nachgedacht werden. Preiswerte Ware mit größeren Stückzahlen für den Onlineshop, hochwertige und erklärungsbedürftige Produkte ausschließlich für das Ladengeschäft. Eine Art Sortimentsbereinigung und Schärfung des eigenen Profils. Natürlich kann man gleichzeitig „Daniel Wellington“ und „Richard Mille“ verkaufen – die Uhren müssen ja nicht nebeneinander in der Vitrine liegen.

Einige Städte fahren sehr erfolgreich mit „regionalem Onlinehandel“. Einer eigenen Plattform, die den lokalen Anbietern vorbehalten ist. Gemeinsam finanziert und mit fairer Provisionierung. Online bestellt, schnell geliefert oder im Laden abgeholt. Inkl. Schwätzchen und sozialer Kontakte. Gewerbevereine, Handelskammern und Städte sind hier gefordert, die altbekannten „Gewerbeschauen“ ins digitale Jetzt zu transformieren. Es wäre schon mal ein sinnvoller Anfang, die Schuld der Krise nicht pauschal bei den anderen oder Amazon zu suchen, sondern die eigene Komfortzone zu verlassen und aktiv zu werden.

Wie sagte schon dieser alte Chinese:

„Wenn du einen Feind nicht besiegen kannst, dann mache ihn zu deinem Freund.“

(Der muss ja es wissen, „Lieferando“ ist schließlich für seine acht Kostbarkeiten der Bringer.)

Quellen: Handelsjournal, Handelsverband Deutschland, Bitcom, PWC, Institut der deutschen Wirtschaft, Europäische Kommission, Brand1

13 Comments

  1. Hans Genssler sagt:

    Der Fachhandel vor Ort ist vielfach nicht teurer als der online-Handel, glänst auch heute noch mit kompetenter Beratung und kann nicht vorrätiges bestellen. Ich glaube, das Problem liegt bei den Kommunen, die die Innenstädte „beleben“. Parkplätze werden zu Rasenflächen mit Klimawandelangepasstem Großgrün, Stadtmöbel auf öden Betonflächen wo es ausser einigen Obdachlosen und Skatern niemanden hinzieht. Die wenigen verbleibende Stellflächen unheimlich teuer und sofort ein Knöllchen, wenn es mal irgendwo länger dauert. Einfach in die Stadt fahren und bummeln ist nicht. Also keine Spontankäufe und wenn man nicht in der City ist kauft man dort kein Eis und kehrt auch nirgendwo ein. Mit den bösen Autos hat man auch die Kunden vertrieben. Die kommen eben nicht mit dem teuern Bus, der nur selten fährt. Die sind in den Shoppingcentern auf der Wiese bei den Massenanbietern. Der Inhabergeführte Fachhandel bleibt auf der Strecke. Die Innenstädte veröden immer mehr. Dank der Menschenfreundlichen Umgestaltung, die die Menschen leider am kommen hindert.

  2. Markus sagt:

    Diese Abhandlung scheint sehr fundiert und tiefgründig zu sein. Ein guter Denkanstoß! Interessant sind aber auch gerade die Aspekte, die sich speziell in der Uhrenbranche ergeben. Es gibt immer mehr Markenshops, die eine sehr gute Ausgangsbasis für ein hochklassigen Einkaufserlebnis bieten. Der Begriff passt an dieser Stelle auch wirklich, obgleich ich Ausdrucksformen wie Benutzererfahrung („User experience“) für anglophil-geschwollenes Marketingsprech halte. Bei dem der Texter nur beweist, dass er vom Angebot seines Kunden bzw. Arbeitgeber absolut null Plan hat. Aber in der Uhrenwelt sind Markenshops eine schöne Sache. Zumal, wenn sie tatsächlich von einem ortsansässigen Konzessionär betrieben werden.
    Allerdings hat die Sache auch zwei Haken: Es fehlt die Vergleichbarkeit zu anderen Marken. Gerade bei Uhren kann es sein, dass man zwei an sich ähnliche, technisch und preislich sogar vergleichbare Modelle nebeneinander legt und merkt, dass nur eine wirklich flasht. Für den Kunden ist es doof, wenn er mangels direktem Vergleich einem Fehlkauf tätigt. Für den Mehrmarken-Konzi ist es egal, welche der beiden Ticker der Kunde kauft, Hauptsache er geht zufrieden und mit leerer Geldbörse aus dem Laden. Auch doof für den Kunden: Beim normalen Konzi kann er moderat feilschen, was beim Kauf z.B. vieler Breitling und Omega auch nötig ist, weil die UVPs mitunter deutlich über dem realistischen Marktwert liegen. Selbst beim Konzi fällt mir die Frage nach 20% Nachlass schon schwer, im Markenshop noch schwerer. Selbst in dem Wissen, dass es dieselbe Uhr beim Grauhändler für 30% weniger gibt, und die Uhr technisch auch nicht mehr kosten sollte.
    Im großen und ganzen ist der Uhren- und Schmuckhandel noch eine Bastion, wo es I.d.R. Spaß macht, einkaufen zu gehen. Kundenfreundlichkeit dürfte im Vergleich zu anderen Branchen sehr hoch sein, und wenn ich tausende Euro auf den Tisch lege, ist mir dieses Erlebnis wichtig. Wer es anders haben möchte (wenngleich auch soweit seriös), muss als Gewerbekunde ein Auto bei einem bekannten norddeutschen Gebrauchthändler kaufen. Beim letzen Mal bekam ich den Schüssel in die Hand gedrückt, und den Weg gezeigt: „Da hinten in der letzten Reihe steht der Wagen, gute Fahrt“, erklärte mir der Verkäufer bei der „Übergabe“. War aber unterm Strich ok. War mein zweiter Kauf dort, und ich würde es immer wieder so machen. Der Preis stimmt, die Ware ok, und den spröden Kundenservce verbuche ich unter „Unterhaltungswert“. Eine Luxusuhr würde ich so aber nicht kaufen wollen.

  3. Aribert sagt:

    Ein sehr guter Kommentar.
    Ich bin der festen Überzeugung, dass beim Online Handel das komplette Einkaufserlebnis fehlt.
    Wer bei Cartier eingekauft hat, weiß was ich meine.
    Alleine wie das Schmuckstück verpackt wird ist ein echter Hingucker.
    Wenn ich Verkäufer sehe, die von nichts eine Ahnung haben und Uhren im mittleren(2.500-6.000) bis hohen (>15.000) bzw. sehr hohen Preisen verkaufen wollen, dann kann ich diejenigen verstehen, die sich ihr Objekt der Begierde über alternative Wege besorgen.

  4. Assassello sagt:

    Selbst wenn man dem stationären Handel eine Chance geben will, ist das trotzdem nicht so einfach.

    Was, wenn der Fahrradhändler mir leider nicht weiterhelfen kann, weil sein Großhändler die Marke/Teile nicht führt? Dann blieb mir doch nur der Onlinehandel.

    Bei Büchern gibt es meines Wissens nur zwei, drei Großhändler/-lager, die alle beliefern und die sortieren schon vorher das Sortiment gnadenlos aus, damit nur Bücher bleiben, die gut verkauft werden. Kleine Verlage fallen damit hintenrunter oder müssen versuchen, die selbst zu vertreiben.

    Ich denke, es steht und fällt damit, welchen Mehrwert (Beratung, Preis, Vielfalt, Service/Wartung etc.) der jeweilige Händler, sei es on- oder offline, bieten kann. Wieviele Uhrensammler suchen denn händeringend einen guten Uhrmacher??

  5. Othmar Frühmann sagt:

    Recht hat er, der Herr Strohm. Aber wenn man seine Ausführungen aufmerksam liest, sollte man meinen, dass er selbst im Rahmen seines Herrensalons einen schweren ökonomischen Fehler begangen hat. Er war sich selber nicht treu. Hat die Romantik über die Ökonomie gestellt. Es hätte, wenn man seinem Text Glauben schenkt, eine bessere Lösung gegeben, die beiden Aspekten gerecht würde. So wird er wohl seinen Fehler einpreisen müssen! Schade.

    • Herr Strohm sagt:

      Lieber Herr Frühmann,
      ich bin halt ein hoffnungsloser Romantiker. Ich habe meinen Text noch einmal gelesen, trotzdem bleibt die Frage, welche bessere Lösung es denn (laut meiner) gegeben hätte?

  6. Lutz W sagt:

    Klare Ansage, klarer Verstand, der einzige Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Jedes Wort zählt immer wieder. Danke sapere aude

  7. Wolfgang sagt:

    Stimme zu 95% zu. Außer in einem Punkt: lokale Online-Marktplätze haben bisher noch nirgendwo funktioniert, außer als mediales Strohfeuer. Was sich auf dem Papier nett liest, bedeutet einen riesigen Aufwand an Personal, Zeit und Geld, dem kaum nennenswerte Umsätze bei den teilnehmenden Händlern gegenüber stehen. Glauben Sie mir, wir haben es versucht, ebenso wie hunderte meiner Kollegen in anderen deutschen Städten auch. Ach, und war der erwähnte Chinese nicht der Buchautor und Glückskeksfabrikant Sun-Tsu?

  8. Lutz sagt:

    Danke, sehr erfrischend, mal kein Amazon bashing zu lesen. Sehr gut argumentiert, danke.

  9. drjsimonis sagt:

    Herr Strohm läuft gegen Jahresende zu Hochform auf. Sehr kundig und über den eigenen Tellerrand hinaus. Aber es ist wie bei den Predigten in der Kirche: Die, die angesprochen werden sollen (hier die Einzelhändler), sind nicht da, und die, die da sind, wissen es schon. Trotzdem und wie immer höchst lesenswert.

  10. Jörg Weinkauf sagt:

    Ich liebe nicht nur Uhren, ich liebe auch Bücher, ich meine Frau, sie (auch neben mir hoffe ich) das zweite. Also in die nächste Stadt und auf der Suche nach einem Buch aus gängiger Bestenliste vier Händler abgeklappert. Nirgends vorrätig. Die Frage ob man es denn bestellen könne wurde natürlich überall bejaht. Wie lange es dauert? Mal 4, mal 3, mal 5 Tage! War das nicht früher so dass ein bestelltes gängiges Buch am nächsten Tag abholbereit war? Ja, aber in Corona-Zeiten! Also für das Buch noch mal (oder zweimal) in die Stadt, Parkplatz suchen (teuer), nachfragen, vertröstet werden? Nene! Die beste Matratze – ach ne, das ist was Anderes! Also zu Hause online gekauft, am übernächsten Tag da. Online lokal bestellen, online benachrichtigt wenn da und dann lokal im Städtchen abholen? Fehlanzeige!
    Also werde ich weiterhin Waren, bei denen es nicht um das haptische Erlebnis beim Kauf oder um Beratung vor Ort geht online kaufen. Der lokale Handel soll unterstützt werden – aber dann möge er sich bitte bemühen! Ich kenne da einen Uhrenhändler der das in einem „Herrensalong“ ganz erfolgreich macht.

  11. Michael sagt:

    Klasse! Es geht doch nichts über ein Näschen für gute Geschichten, eine gute Recherche und flotte Schreibe …

  12. Frank sagt:

    Sehr differenziert auf den Punkt gebracht!

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