„Wir ham dem Oppa seine Uhr geerbt…“

„…und wenn ich mal tot bin, dann erbt ihr das gute Stück!“

Eine Uhr kann man nicht teilen, den Stress bei der Wertermittlung aber schnell mal verdoppeln.

Es mag an Corona liegen, aber gerade in den letzten Wochen erreichen mich gehäuft Anrufe, die in einer einzigen Frage gipfeln: „Was ist denn meine geerbte Uhr wert?“

Ist die wirtschaftliche Lage nicht rosig, kommt so ein Erbe eigentlich ganz recht. Vorausgesetzt, Sie sind Alleinerbe und / oder ein detailliertes Testament des Erblassers liegt vor. Doch erstens kommt es anders und zweitens ist es eine Erbengemeinschaft. Ich sehe den ein oder anderen von Ihnen mit genau diesen Erfahrungswerten schon zucken und in der Versuchung, mir ein Lied davon zu singen. Grund genug, meine Erfahrungen und Tipps in diesem Beitrag zusammenzufassen.

Die genannten Telefonate beginnen meist mit: „Meine Geschwister und ich, wir haben eine wertvolle Uhr geerbt.“ Nun ist der richtige Moment für Beileidsbekundungen. Wegen des familiären Verlustes, aber auch wegen der Erbengemeinschaft, deren Teil Sie nun unverschuldet geworden sind. Trotz der Trauer hilft nur eine sachliche Analyse, denn schließlich wurde ich nach dem Wert gefragt.

Die Kombination „wertvolle Uhr“ besteht aus einer Tatsache (Uhr) und einer manchmal tollkühnen Behauptung (wertvoll). Beruhend auf dem eigenen Wunsch, kindlichen Erinnerungen und den emotional aufgeladenen Erzählungen des Erblassers. „Oppa sein goldene Uhr“ ist leider weder eine eingetragene Marke noch währungstechnisch umrechenbar. Es stellen sich also (Ihnen und dem späteren Gutachter) die nächsten Fragen: Ist die Uhr echt? Ist das Material echt? Sind die Erwartungen echt?

Die ersten beiden Fragen lassen sich nur scheinbar mit hoffentlich begleitenden Papieren zur Uhr beantworten. Denn nur weil die goldige Rolex Papiere hat, die Oppa auf dem Brennerparkplatz bei der ersten Autoreise nach Bibione von dem netten Italiener, der ausgeraubt wurde und nun nach Hause möchte und der sein letztes Hab und Gut in Form seiner selbst ererbten goldenen Rolex… Sie wissen was ich meine. Nicht nur Uhren, sondern auch Papiere können gefälscht werden. Und schon der Volksmund weiß, dass nicht alles Gold ist was glänzt.

Ist sie nicht (ver)goldig?

Nun gehen wir aber mal zu Ihren Gunsten davon aus, dass die Uhr und die Legierung das halten, was Oppa versprach. Wäre meinerseits die nächste Frage, was denn das Ziel der Aktion sein soll. In meinem fiktiven Beispiel besteht die Erbengemeinschaft aus drei Kindern, gleichermaßen erbberechtigt, ein letzter Wille bezüglich der Uhr liegt nicht (schriftlich) vor.

Folgende Konstellationen sind denkbar:

Alle sind sich einig, behalten die Uhr und jeder darf sie mal abwechselnd jeweils einen Monat tragen und wenn Sie nicht gestorben sind… sorry, das war wohl ein unrealistischer Scherz. Also nun mal ernst.

Erste Möglichkeit: Alle Erben wollen die Uhr verkaufen, denn Geld lässt sich so schön teilen. Vorteile: Alle wollen möglichst viel rausholen, man muss nur den meistbietenden Käufer finden. Nachteil: Einer der drei Erben ist das arme Schwein, das sich drum kümmern muss, auch ohne Ahnung davon zu haben. Immer im Wissen, dass die anderen beiden „auf jeden Fall mehr rausgeholt hätten!“

Die Wertermittlung besteht im Prozess, möglichst viele konkrete Angebote einzuholen und bei dem besten zuzuschlagen. Bares ist dann Wahres und gut teilbar.

Zweite Möglichkeit: Eines der drei Kinder möchte die Uhr behalten und muss die beiden Geschwister auszahlen. Vorteil: keiner. Nachteil: Während zwei (die Verkäufer) auf einen möglichst hohen Wert / Verkaufspreis der Uhr hoffen, möchte der neue Besitzer die Uhr natürlich preiswert rechnen. Hier ist nun ein Wertgutachter gefragt. Bevor ich dazu komme, lassen Sie mich noch den dritten Fall anreißen.

Dritte Möglichkeit: Alle wollen die Uhr für sich behalten. Vorteil: Der nun ausbrechende Familienstreit entbindet Sie auf Jahre von gegenseitigen Besuchen an Festen und Feiertagen. Nachteil: Eigentlich keiner, denn die Regel ist logisch: Wer am meisten zahlt, bekommt die Uhr – die beiden anderen ihren Anteil am Verkaufspreis.

Nun aber zurück zur eigentlichen Frage: Wie ermittle ich den Wert der Uhr? Gegenfrage: Welchen Wert sollen wir den ermitteln? Im Angebot hätte ich: den Zeitwert, den Neuwert, den Wiederbeschaffungswert oder den Verkehrswert. Ausschlaggebend beim Erben ist der Verkehrswert, der dem Zeitwert meist gleichzusetzen ist. Dieser Wert stellt die Summe dar, die ein Händler oder ein Auktionator bereit ist, für die Uhr im momentanen Zustand auf den Tisch der Erben zu legen. Neuwert und Wiederbeschaffungswert spielen meist bei Versicherungsfragen eine Rolle, die ich hier außen vorlasse.

Wie finden Sie nun den Zeitwert heraus, wenn die Uhr nicht an einen Dritten verkauft oder zu einer Auktion eingereicht wird? Sie erinnern sich: Die drei von der Tankstelle aka Erbengemeinschaft haben sehr unterschiedliche Wünsche – einmal teuer, einmal billig.

Ich sage Ihnen jetzt, wann der nächste Streit vorprogrammiert ist, nämlich wenn Sie sich auf Online-Plattformen beziehen. Sätze, die beginnen mit „Ich habe bei chrono24 folgenden Preis gefunden…“ führen auch bei großer Geschwisterliebe gerne mal zu Handgreiflichkeiten. Denn zwischen der niedrigsten und der höchsten Offerte liegen manchmal 300% – und das gibt zu 100% Stunk. Die dort postulierten Wunschpreise haben oft nichts mit dem wirklichen Wert zu tun und hoffen auf den einen Dummen, der morgens aufsteht.

Was ich auch nicht empfehlen würde ist der Gang zum Pfandleiher, um „mal zu fragen was der denn so dafür geben würde“. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die „fundierte Schätzung des Schmuck- und Uhrenexperten“ auf einer einfachen Netz-Recherche beruht – bei chrono24!

Ob diese Datora heute noch 195,- DM wert ist?

Was Sie also brauchen ist ein seriöses Gutachten – von einem ebenso seriösen Gutachter. Nächste Falle. Denn sie müssen Gut (drauf) achten (welch ein Wortspiel), dass es freie, bestellte, vereidigte und ahnungslose Gutachter gibt. Und dann gibt’s noch welche, die eine Uhr nach ihrer Funktion begutachten (geht/kaputt) oder nach ihrem Wert (teuer/billig). Ihr Ansprechpartner ist also ein Wertgutachter, den Sie durchaus im Internet finden. Die Wahl des Gutachters sollten alle drei Beteiligten gemeinsam treffen und vereinbaren, dass das Gutachten auch als verbindlich anerkannt wird.

Die Kosten für ein solch fundiertes Gutachten beginnen bei ca.100,- Euro und Sie müssen damit rechnen, dass Sie die Uhr versichert zum Gutachter einsenden. Für den Versandweg hin und zurück sind auch um die 100,- Euro zu kalkulieren, je nach Wert der Sendung. Erklären Sie dem Gutachter ganz offen, was Sie bezwecken: reine Wertermittlung für die Versicherung, Verkauf im internen Kreis oder einen Verkauf an Dritte. Ein seriöser Fachmann wird immer auf der Einsendung der Uhr bestehen und eine schriftliche Expertise mit den individuellen Daten (Referenz, Gehäusenummer etc.) der Uhr machen.

Sollten Sie diese Kosten scheuen und trotzdem zu einer gütlichen Einigung kommen wollen, dann hier ein Tipp meinerseits: Wenn Sie die Uhr behalten, also ankaufen möchten, dann bitten Sie eine der beiden anderen Personen die Uhr an einen Dritten zu verkaufen. Wenn so der beste Preis und ein realer Käufer von „der anderen Partei“ ermittelt wurde, legen Sie einfach 100,- Euro drauf und kaufen die Uhr selbst. So dürften alle zufrieden sein, denn Ihnen kann niemand vorwerfen, ein anderer hätte mehr bezahlt.

Er hats doch nur gut gemeint…

Und ganz zum Schluss ein Hinweis an alle Sammler, die nach dem Werbespruch handeln, dass eine teure Uhr einem nie ganz alleine gehört, sondern dass man sie eigentlich für die nächste Generation aufbewahrt: Viele dieser schönen Stücke wurden schon vor der Beerdigung vom Erben verscherbelt und die Rendite in Koks und Nutten investiert. Aber das sollte Ihnen als Erblasser dann auch egal sein…

1 Comment

  1. Günter Dörmer sagt:

    Ebenso kenntnisreich wie humorvoll – hat mir sehr gefallen!

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