Populismus Horologicus

Oder: Wehe, du trägst die falsche Uhr!

Lassen Sie uns mal über Populismus sprechen. Passt doch gerade so gut ins Zeitgeschehen. Und wenn wir schon dabei sind, bitte auch über Extremismus und die Radikalisierung im Allgemeinen und online im Besonderen. Lassen Sie uns also über Uhren reden.

Ich sehe Sie überrascht, was haben denn die oben genannten „-ismen“ mit Uhren zu tun. Antwort: Immer mehr! Denn in dem von uns allen geliebten und gerade genutzten Medium, dem Internet, greifen sie um sich wie weiland die SWATCH an den Handgelenken der Uhrenliebhaber. Doch wie immer fragen wir meine Mitarbeiterin Vicky Pedia nach der begrifflichen Definition:

Dem Begriff Populismus(von lateinisch populus ‚Volk‘) werden von Sozialwissenschaftlern mehrere Attribute zugeordnet. Charakteristisch ist eine mit Absichten verbundene, auf Volksstimmungen gerichtete Themenwahl und Rhetorik. Dabei geht es mal um die Erzeugung bestimmter Stimmungen, mal um die Ausnutzung und Verstärkung vorhandener Stimmungslagen zu eigenen Zwecken. Oft zeigt sich Populismus auch in einem spezifischen Stil und dient als Strategie zum Machterwerb.

Sollten Sie immer noch keinen direkten Zusammenhang dieser flachen Meinungsmache zu unserem Lieblingsthema den Uhren sehen, lesen Sie mal ein wenig in den aktuellen Uhrenforen, Facebook-Gruppen und Kommentarspalten quer. Und Sie werden schnell erkennen: Der Ton wird rauer und die Luft für eigene Meinungen jenseits des Mainstream wird dünner. Und wie immer diskutieren die am lautesten, die nicht die leiseste Ahnung haben. Ganz oben in der Hitliste der Randalethemen: Sind Luxusuhren ihr Geld wert? Oder: Fakes sind meist genauso gut wie Originale.

So richtig zur Sache geht’s immer, wenn das Zauberwort „Rolex“ auftaucht. Gerne in Kombination mit den Begriffen Werterhalt, Ländercode und Warteliste. Dann ruft der erfahrene Forianer nach Popcorn und erwartet Verweis-Orgien überforderter Administratoren.
Mein erstes Buch „Armbanduhren sammeln“ zeigt auf dem Cover meine geliebte Rolex GMT „Pepsi“ in fünfstelliger Referenz. Doch welch ein Frevel: ich habe dieser Ikone des Kronenbaus ein (zwar original Rolex) aber nicht zu diesem Modell gehörendes Jubileeband verpasst. Übelste Online-Beschimpfungen der Puristen waren die Folge. Man sprach mir jegliche Uhrenkompetenz ab und rief zum Boykott des Buches auf. Seit das neue GMT-Modell serienmäßig ein Jubilee trägt ist nun genau diese Kombination, die mir Teer und Federn einbrachte, der heilige Gral des guten Geschmacks. Vox populi!
Jeder dreizehnjährige Knirps kann die Vorteile und Daten des neuen Porsche 911 im Schlaf herunterbeten und darf fest davon überzeugt sein, dass es sich um das allerbeste Auto von der ganzen Welt handelt – sonst hält er die Luft an! Er ist ein Kind, der darf das. Auch wenn er selbst noch nie den Boliden gesteuert hat. Bei einem 48Jährigen wirkt selbiges Verhalten eher lächerlich.

Aprospos Administratoren: Ich verneige mich vor allen ernsthaften Admins der großen Foren, die viel Zeit und Energie in den reibungslosen Ablauf solcher Online-Moloche des gesunden Halbwissens stecken. Sie bemühen sich um Fairness und schlichtende Worte.
Doch je einfacher es geworden ist, einen eigenen Blog oder die selbstverwaltete Facebook-Gruppe zu gründen, umso schneller steigt die Macht über den Lösch-Buttons zu Kopf. Und wie bei Facebook üblich, dulden Admin und Jünger nur eigene oder gleichgeschaltete Meinungen. Diskussion? Fehlanzeige. Meinungsaustausch? Warum, sie haben doch schon eine – und zwar die Richtige.

Natürlich hat jeder Gruppen-Guru auch das Hausrecht in seinen eigenen vier Online-Wänden. Bedenklich wird es nur, wenn so der fehlende Sachverstand auf fehlende Rückfragen stößt. Der Admin findet eine bestimmte Marke, einen Händler oder andere Medien Scheiße? Dann wird er verbieten, auch nur im Ansatz darüber zu reden und jeden Verteidiger wird er vor der versammelten Leser-Masse als Deppen denunzieren (der aufgrunde seiner direkten Sperrung in der Gruppe keine Gelegenheit zur Gegenrede hat).

Im Klartext: Jeder Verantwortliche einer Plattform mit einigen tausend Nutzern hat auch die Macht, Marken, Dienstleister oder Personen populär oder unpopulär zu schreiben. Und diese gottgegebene Aufgabe hat er nicht vom Volk, das er zu verdummen sucht. Gerne postuliert in den sogenannten „Gruppenregeln“, die dann bestimmen, dass man zwar für den kleinen netten Händler um die Ecke werben darf, die großen Online-Händler aber Teufelswerk sind. Sie haben andere Erfahrungen gemacht? Ein Grund mehr Sie zu sperren. Es wäre naiv zu glauben, dass die Industrie nicht längst die Macht dieser „Medien“ erkannt hat und in vielen Gruppen und Foren offen oder verdeckt versucht die Meinung der interessierten Leser zu beeinflussen.

Dazu bedient sie sich gerne der seit Langem anerkannten Form des Meinungspopulismus: dem/der bezahlten Influenzer/in. Hersteller, Handel und PR-Agenturen sind sich einig, dass der Verbraucher „Meinungsmacher“ braucht, damit er sein Konsumentenglück auch wirklich erkennt. Gekaufte Beeinflusser, die mir sagen oder zeigen, wie mein Geschmack und auch meine Uhr auszusehen hat.

Was wäre das doch für eine abwegige Idee, dass wir uns zu einem bestimmten Modell oder einer Marke unsere EIGENE Meinung bilden. Uns sozusagen selbstinfluenzen. So richtig old school bei einem Fachmann im Laden nachfragen, die Uhr befingern, sie anlegen und dann SELBST entscheiden, ob sie UNS das Geld wert ist. Verrückt!
Da lassen wir doch lieber andere entscheiden und wenden uns hilfesuchend an die breite Forenmasse: „Ich möchte mir eine Uhr für 8.000,- Euro kaufen. Kann mir jemand einen Tipp geben, was mir gefällt? Ich schwanke zwischen einer 36mm Rolex und einer 48mm Panerai.“
Sie können drauf wetten, dass eine der ersten drei Posts mit den Worten beginnt: „Ich kenn weder die eine noch die andere…“ Und danach hauen sich alle die Halbweisheiten Dritter um die Ohren.

Nun können Sie mit Recht einwenden, dass auch ich als Blogger und Sozialnetzwerker die Meinung meiner Leser beeinflusse. Natürlich, sonst würde ich diese Zeilen nicht schreiben. Auch ich administriere einen Facebook-Account und meine Gruppe, auch ich habe schon gelöscht und gesperrt. In meinem Shop verkaufe ich nur Uhren, die mir gefallen und von denen ich überzeugt bin. Doch ich hoffe, ich lasse Ihnen den Freiraum, sich Ihre eigene Meinung zu bilden, die meinige zu hinterfragen, auch in schriftlicher Form. Lassen Sie uns diskutieren, streiten und uns gegenseitig auf die Schulter klopfen. Aber bitte ohne den Anspruche der absoluten Wahrheit und des einzig guten Geschmacks. Und in höflichem und tolerantem Umgangston. Es würde mich freuen, wenn das wieder massentauglich würde.

8 Comments

  1. Lutz sagt:

    Wozu führt das?

    Zur langweiligsten Lobhudelei. Ich kann es auch nicht mehr ertragen und lese deshalb nur noch sporadisch in Foren. In einem schweizer Uhrenforum beschränke ich mich seit langem fast nur noch auf die Witzerubrik…

    Aus anderen Uhrenforen hab ich mich komplett ausgeklinkt. Einzig die Marktplätze sind gelegentlich interessant.

    Das Mittelmäßige bleibt und regiert am Ende die Welt erkannte schon Hegel und im Netz kann man genau das täglich bestaunen.

  2. Mal wieder auf den Punkt. Ich kaufe Uhren, meist Seikos, wenn sie mir gefallen. Hätte und trage sie gerne Orginal. Hab aber auch das eine oder andere Wechselband. Bei Breitling gefallen mir 90% der Uhren nicht und für die Krönchen hab ich einfach nicht genug Taschengeld. Es gefällt mir tierisch das meine Samurai, sie ahnen es schon eine Seiko, mit +/- 5sec./Tag echt gut die Zeit hält, mein Bekannter aber seine Breitling alle zwei Tage stellen muss. Sind deswegen alle Uhren ausser meinen Mist? Nein. Erstens liegt die Schönheit im Auge des Betrachters. Zweiten kann keiner etwas dafür das ich mir keine 2000€ leisten kann oder will. Drittens kann kein Uhrenhersteller etwas dafür das Uhrenbesitzer Ihr Auto alle drei Monate aber ihre Uhr nie in den Service geben. Für mich hat die 3€ Discounteruhr genau so ihre Berechtigung wie ein Meisterstück für 18,6 Millonen oder mehr. Sie zeigen beide die Zeit an und der Träger sollte zu frieden sein.
    Es ist normal das wir für unsere Marke voreingenommen sind. Es sollte uns aber bewußt sein das andere genau so gut oder ggf. sogar besser sind. Das fällt uns schwer, jeder will ja „das Beste“ besitzen und das was ich hab muß es auch sein. So der Wunsch.
    Das Problem und das wissen wir aus Politik und Religion, sind die Fanatiker die nichts weiter gelten lassen denn ihre eigene Meinung oder Überzeugung. Aus diesem Grund lasse ich mich auf keine Discussion über Glaubensfragen ein, egal in welchem Forum.
    Habt Spaß an Euren Leidenschaften, Euer Michel Speth

  3. Alex sagt:

    Sie sprechen mir aus der Seele! Und das ist genau der Grund, weshalb ich mich aus sämtlichen Uhren-Foren verabschiedet habe.

    Es lässt sich ja so leicht mit gespitzter Zunge im anonymen Netz hetzen, stänkern, besserwissen, beleidigen.

    Würden wir uns im wahren Leben genauso “ an die Gurgel gehen“? Ich hoffe: doch wohl eher nicht.

    Gottseidank war es mir schon immer schnurzpiepegal, was andere über meinen Geschmack (oder Nichtgeschmack?) sagen und denken. Ich trage die Uhren, die mir gefallen und das entscheide ich immer noch für mich selbst: ja, genau, bei einem Besuch vor Ort bei meinen Konzessionären.

  4. Frank sagt:

    „Diskussion? Fehlanzeige. Meinungsaustausch? Warum, sie haben doch schon eine – und zwar die Richtige.“ => So wahr.

    Gerade diese Tage erst in einem großen Forum erlebt, als es um eine große Uhrenmarke aus Japan und deren Neueinführung eines Modells ging, Ablauf genau so – inklusive erwähnter Sperre. Die Markenfanatiker dulden keine sachliche Kritik. Wer also nicht alles über den grünen Klee lobt, wird sofort angegriffen.

    Und die einseitige Basta-Politik, mit der manche Moderatoren regieren, setzt dem ganzen dann die Krone auf.

    Ich frage mich, warum ich da noch angemeldet sein soll.

  5. Martin sagt:

    Versuche einmal in einem Motorradforum die Frage nach den richtigen Reifen zu stellen, oder in einem Musikerforum nach den richtigen Saiten zur Weltbesten Gitarre der Fender Stratocaster…. ähhh die Weltbeste Gitarre ist das nicht die Les Paul oder doch Gretsch ? …. überall das gleiche 🙂

  6. Thomas H. sagt:

    Ich habe versucht es zu verstehen. Begriffen habe ich aber nichts. Aber meinen Senf schreibe ich trotzdem dazu. 🙂
    Ob nun Uhren, Auto, Aktien oder wirklich Wichtiges – es ist doch überall das Selbe. Schön, dass Sie es hier so offen aussprechen.

  7. Marcus F. sagt:

    Genau aus den genannten Gründen bewege ich mich nur noch sehr selten in den diversen Foren. Das ging dann so weit, dass ich aus einem sogar ausgeschlossen wurde, da ich seit mehr als zwei Monaten keinen Beitrag mehr geleistet hätte.

    Vielen Dank für die klaren Worte!

  8. Toller Beitrag, der sehr gut meine Erfahrungen rund um dieses schöne Hobby wiederspiegelt. Danke!

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