Warum einfach, wenn‘s auch kompliziert geht?

Grande Complication

Sind die gefeierten Komplikationen der Haute Horlogerie wirklich die Messlatte für die Innovationskraft eines Uhrenherstellers?

Die Messesaison der Uhrenindustrie ist in vollem Gange. Die SIHH in Genf hat gerade die Tore geschlossen, die Baselworld wird sie (verkürzt) für wieder mal weniger Aussteller und noch weniger Besucher öffnen.

Ebenso rechtzeitig wie publikumswirksam bringen die PR-Abteilungen der Edelmanufakturen die neusten technischen Errungenschaften on- und offline unters uhreninteressierte Volk. Fachpresse wie Publikumsmedien, Anlagemagazine und CEO-Postillen berichten über das „jetzt endlich“ technisch Machbare. Die Frage nach dem Sinn, dem Nutzen und dem Bezahlbaren stehen dabei nicht unbedingt im Vordergrund.

Seit dem letzten Jahr wurden wieder einmal neue Materialien – zumindest für die Uhrenindustrie – und neue, wenn auch noch so kleine Zielgruppen entdeckt, die hoffentlich die streng limitierte Kleinstserie in ihren Tresoren verschwinden lässt.

Nicht dass wir uns missverstehen: ich ziehe den Hut vor der Innovationskraft der Uhrmacher und Techniker, die in deutschen und schweizerischen Laboren an Komplikationen tüfteln, deren adäquates Einsatzgebiet dann später definiert wird. Das ist ganz große Ingenieurskunst – und das meine ich ernst.

Doch leider habe ich den Eindruck, diese Werkstätten wären in genau den Elfenbeintürmen untergebracht, die so endlos weit von Otto Normalverbraucher entfernt liegen, dass dessen Wunsch nie als Befehl bei den Herstellern ankommt. Gehandelt wird getreu dem Motto „Ich habe was erfunden, wer könnte es denn brauchen?“ und eben nicht in der Reihenfolge „Hier ist ein Problem, lasst uns mal an der Lösung arbeiten“.

Beispiele gefällig? In den letzten Tagen sind mir die nun folgenden Komplikationen publizistisch über den Schreibtisch gelaufen. Um die Technik etwas aufzulockern, habe ich eine Eigenkreation hineingeschummelt, die Sie aber bestimmt direkt erkennen werden:

  • Die wandernde Zeitgleiche: Angezeigt wird die Abweichung zwischen der Ortszeit und der tatsächlichen Sonnenzeit.
  • Die analog voreinstellbare Gangabweichung, durch die sich die Uhr selbstständig um 00:00 Uhr korrigiert.
  • Der Driftwinkelrechner, mit dem Piloten die Stärke des Seitenwindes bestimmen und aufzeichnen können.
  • Die Tourbillon-Federung, die durch ein Aufhängungssystem mit Stahlkabeln gehalten wird.
  • Der Schleppzeigerchronograph, der Additions- und Vergleichszeiten bis zu 12 Stunden messen kann.
  • Die unter Wasser hörbare Alarmklingel bei Beendigung der Tauchzeit voreingestellten Tauchzeit.

Ich sehe schon, ich habe es Ihnen zu einfach gemacht. Sie haben es erkannt, es ist die selbstständige Gangkorrektur. Braucht im Gegensatz zur wandernden Zeitgleiche oder dem Driftwinkelrechner natürlich kein Mensch. Aber mir würde (wahrscheinlich als Einzigem) so etwas gefallen.

Vulcain Cricket 2

Vulcain Cricket Nautical: Es rappelt in der Kiste – auch wenn sie voller Wasser ist.

Wo wir gerade bei Verrücktheiten sind, auf meiner Liste stehen auch noch solche Fantastereien wie wohlproportionierte und griffige Aufzugskronen, mit denen man ohne Verlust der Fingerkuppe und den dazugehörigen Nägeln exakt die Zeit einstellen kann. Stahlbänder mit stufenloser Weitenregulierung ohne Werkzeug. Lederbänder, die nicht Hunderte von Euro kosten, und nicht mit der Weißblech-Dornschließe um die Wette quietschen. Oder – völlig plemplem – Uhren, deren Preis das widerspiegelt, was an Design und Technik drinsteckt und nicht nur was als Markenname draufsteht. 

Den Leser-Korrekturmails vorgreifend: natürlich gibt es das alles schon, doch viel zu oft muss ich genau diese Punkte vermissen. Weil „Wir haben eine Krone montiert, die sich gut aufziehen lässt“ nicht der PR-Coup des Jahres ist.

Die Hersteller antworten auf die Frage „Warum so kompliziert?“ allzu gerne: „Weil unsere Kunden immer das Neuste und das technisch Extreme fordern“. Aha…daher auch der Affenpreis und die Mini-Auflage von nur fünf Stück. Was viele Manufakturen gerne außen vorlassen: Geld verdienen sie mit ihren Brot & Butter-Modellen, den unkomplizierten und im besten Sinne des Wortes einfachen Uhren.

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Perrelet Regulateur Retrograde – Können Sie mir kurz sagen, wie spät es ist?

Genau das bestätigen die Kunden, wenn sie gefragt werden. Bei meiner bescheidenen Umfrage nach den deutschen Lieblingsmarken lagen Sinn und Nomos auf den ersten Plätzen – beide nicht gerade bekannt für ihre Grande Complications. Die aktuelle Leserwahl zur „Goldenen Unruh“ sieht eine Dreizeigeruhr von Stowa und in zwei Kategorien wieder Nomos vorne. Dazu eine Glashütte Original mit Panoramadatum.

Verschweigen möchte ich natürlich nicht den Sieger in der Ü25k-Klasse, den Tourbograph Perpetual »Pour le Mérite« von A. Lange & Söhne, der über genügend Komplikationen für alle vorgenannten Uhren zusammen verfügt. Darf er auch – bei einem Preis von 480.000,- Euro (was wohl die größte Komplikation bei dieser Uhr darstellen dürfte).

Komplikationen sind reizvoll, vor allem für die feinmechanische Abteilung des Hauses, sie sind der Luxus des Uhrenbauers. Trotzdem haben die meisten Traumuhren der Sammler nur drei Zeiger, maximal eine Chronographenfunktion. Und sie werden oft genug in der Marketing- und Verkaufsabteilung entwickelt und groß gemacht. Und warum? Genau die weiß ganz genau (sie sollte es zumindest), dass Kundennähe und Service die wahrscheinlich komplexesten Teile einer erfolgreichen Uhr sind.

Und genau da gibt’s noch einiges zu entwickeln.

6 Comments

  1. Sehr schön und mal wieder auf den Punkt………..böse Menschen wie ich sehen da einen Finger in der Wunde.
    Meine Lieblingsuhr…was sollte die haben?
    1. 3-Zeiger mit Datum
    2. Alles gut ablesbar
    3. Mechanisch, am Besten Automatik
    4. 43mm oder größer, hier bin ich zugegebener Maßen eigennützig
    5. mind. 100m Wadi
    6. Robustes, zuverlässiges und genaues (+/-10sec./Tag) Werk
    7. Manufaktur mit einer Fertigungstiefe von nahezu 100%
    8. Bezahlbar für jeden Geldbeutel
    ups………………gibt es ja schon.

    Gruß Euer Michel

  2. othmar sagt:

    Wie immer ein sehr interessanter Beitrag. Er ist auch Ausdruck einer intensiven Diskussion wohin die Reise bei den mechanischen Zeitmessern gehen soll. Eine logische Konsequenz wäre jetzt eine Umfrage :“ Wie soll Deine mechanische Lieblingsuhr beschaffen sein? “
    Ich mache einfach schon mal den Anfang:
    1. flach wie ein Tattoo
    2. Handaufzug mit Gangreserveanzeige und laufender Sekunde
    3. großes gut ablesbares Datum
    4. ev. zweite Zeitzone
    5. schöne klare Bezifferung mit bester Nachtablesbarkeit
    6. wechselbares Zifferblatt +/- Zeiger in allen möglichen Farben
    7. leicht z. B. Titan
    8. Lederarmband mit passender Faltschließe auch zum Selberwechseln (von Strohm ausgesucht)
    9. und als kleine Komplikation: Gehäuse und Faltschließe in allen Edelmetallen dieser Welt
    erhältlich
    10. kleiner „Quarzer“ in der Schließe eingebaut
    muss ich erklären: Bei mir liegt ständig irgendwo ein elektronischer Zeitmesser herum weil es doch manchmal v. a. bei meinen älteren Modellen passiert, dass sie plötzlich die Zeitmessung nicht mehr so genau nehmen. Aber, und da sind wir uns ja alle einig, Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige!
    In diesem Sinne bin ich gespannt was Ihr meint.
    O.

  3. Jupp Schmitz sagt:

    Man sollte aber auch nicht verschweigen, dass bei der „Wahl zur goldenen Unruh“ ausschließlich Modelle stehen, die dem Verlag von den Fabriken kostenfrei zur Verfügung gestellt werden. Da Rolex das beispielsweise nicht macht, kann man auch keine – noch so schlichte und gut ablesbare – Rolex auswählen.

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