Matthias Stotz: „Junghans steht für klare Gestaltung und Qualität.“

Junghans blickt auf eine 157-jährige Tradition und über eine halbe Milliarde gebauter Uhren zurück. Matthias Stotz leitet seit über 10 Jahren die Geschäfte der Schwarzwälder Uhrenfabrik, die wie keine andere für „die deutsche Uhr“ im In- und Ausland steht. Ich habe mich mit ihm über die Chancen nach dem Neuanfang unterhalten, die Unterschiede zwischen Evolution und Revolution, Manufaktur und Fabrik. Wie viel „retro“ eine moderne Uhr vertragen kann und warum ein Hotel mehr Ambiente als eine Messehalle hat.

Zur Person

Name: Matthias Stotz
Jahrgang: 1969
Unternehmen: Uhrenfabrik Junghans GmbH & Co. KG
Position: Geschäftsführer
Im Unternehmen seit: 2007

Ausbildung / Vorherige Tätigkeiten / wie sind Sie beruflich beim Thema Uhr gelandet.
Matthias Stotz ist Uhrmachermeister in vierter Generation. Sein Großvater eröffnete bereits 1900 ein Uhren- und Schmuckfachgeschäft. Aus der Tradition heraus erlernte er nach dem Abitur den Beruf des Uhrmachers. Der Wunsch, aus der gewohnten Tradition auszubrechen, gepaart mit einem großen Interesse an Feinmechanik und Gestaltung führten ihn zur Entwicklung von Werkzeugen und Möbelbau bis hin zu einigen Semestern Architekturstudium. Am Ende überwog die Leidenschaft für die Uhrmacherei und brachte ihn wieder zur Uhrenbranche zurück. Bereits in der Ausbildung an der Staatlichen Feintechnikschule entwickelte und fertigte er ein eigenes Tourbillon. Er ist der Schule bis heute verbunden und unterrichtet nicht nur im Meisterkurs für Uhrmacher, sondern wirkt auch im Prüfungsausschuss der Handwerkskammer Konstanz mit.

Ein paar Eckdaten zum Unternehmen
Das Unternehmen wurde 1861 in Schramberg gegründet. Bereits 1903 beschäftigte Junghans 3.000 Mitarbeiter, produzierte 3 Millionen Uhren pro Jahr – und war die größte Uhrenfabrik der Welt. Ab 1936 wurden die ersten Meister-Uhren produziert, 1956 war Junghans drittgrößter Chronometerhersteller der Welt. Weitere Meilensteine stellen die von Max Bill entworfenen Groß- und Armbanduhren, die Zeitmessung bei den Olympischen Spielen 1972 und die Erfindung der ersten Funkarmbanduhr im Jahr 1990 dar. Heute werden in Schramberg Armbanduhren gestaltet und mit allen gängigen Technologien ausgestattet: Von klassischen mechanischen Zeitmessern, quarz- und solarbetriebenen Uhren bis hin zu eigenen Funkwerken, die mehrere Aspekte vereinen können.

Junghans und Schramberg sind untrennbar miteinander verbunden

Zukünftige Ausrichtung
Junghans gehört zu den wenigen großen und tradierten Uhrenmarken, die eine ununterbrochene Unternehmensgeschichte aufweisen. Neben der Vielfalt der Antriebstechnologien wird auch zukünftig der Fokus auf einer klaren Gestaltung der Uhren liegen. Diese Identität werden Junghans Uhren auch in der Zukunft widerspiegeln.

Und nun zu den Fragen

Uhrmachermeister mit Architektur-Studium – da stellt sich die Frage: Was begeistert Sie an Uhren: Das Innere oder das Äußere?
Für mich kommt es in beiden Fällen auf die Gestaltung an. Als Uhrmacher wohne ich auch gedanklich in einem Uhrwerk, kann mich darin bewegen. Ich habe große Freude daran, wenn sich handwerkliches Können in der Finisierung der Werkteile wiederfindet. Dies ist jedoch nur bei wenigen und hochpreisigen Uhren der Fall. Bei einer normalen Gebrauchsuhr ist dies eher untergeordnet, wobei auch eine einfache Mechanikuhr immer noch einen großen Zauber verströmt. Für die meisten Träger ist jedoch das Äußere viel entscheidender. Gefällt die Uhr nicht, wird sie auch nicht getragen. Und wenn sie gefällt, dann sagt sie sehr viel über die Trägerin oder den Träger aus. Deshalb ist schon beim Entwurf der Uhr und auch bei der Ausrichtung der Marke zu bedenken, wie die Uhr später am Arm auf den Träger und die Umwelt wirkt. Dies gilt in beidem Maße auch für die Architektur, denn dort werden Monumente gebaut, die die Wirkung auf das Städtebild prägen und tagtäglich die Blicke der Menschen auf sich ziehen.

Ihre erste wirklich „wertige“ Uhr war eine…?
Junghans mit Fixoflex Armband. Mein Opa, ebenfalls Uhrmachermeister, hat sie mir zur Einschulung geschenkt. Auf diese echte Uhr war ich sehr stolz. Nach dem Abschluss zum Uhrmacher war die nächste bedeutende Uhr eine Rolex Explorer.

Die Meister Telemeter ist der persönliche Favorit von Matthias Stotz

Wie viele verschiedene Uhren tragen Sie regelmäßig?
Seit ich bei Junghans beschäftigt bin, trage ich natürlich nur Junghans Uhren. Die tägliche Qual, welche schöner ist, habe ich dennoch. Die Explorer und alle anderen hinzugekommenen Uhren liegen seit Jahren verschlossen im Safe.

Ihr absoluter Favorit?
Mein persönlicher Favorit ist die Meister Telemeter in Edelstahl, gefolgt von der Meister Kalender in roségolden beschichtetem Gehäuse und die Meister Chronoscope mit Edelstahlband. Diese drei Uhren trage ich am häufigsten.

Mal ganz ehrlich: Welches Modell eines Mitbewerbers hätten Sie gerne im Junghans-Portfolio?
Da wir eine authentische Marke sein wollen, kann die Antwort nur „keines“ sein. Dennoch hätte ich gerne eine erfolgreiche, sportliche „24-Stunden-Uhr“, eine Ikone wie die Submariner oder die Speedmaster. Aber diese Uhren haben ihre eigene Geschichte bei ihren Marken und nicht bei uns.

Welche Aussage trifft auf Sie zu:

  • Ich wähle die Uhr dem Anlass entsprechend
  • Ich wähle die Uhr der Kleidung entsprechend
  • Ich wähle die Kleidung der Uhr entsprechend
  • Ich wähle die Uhr meiner Gemütslage entsprechend, unabhängig von weiteren Faktoren

Ich wähle die Uhr und die Kleidung dem Anlass entsprechend aus. Von großem Vorteil ist, wenn auch die Gemütslage dem Anlass entspricht. Eine schöne Uhr kann die Gemütslage aber heben. (schmunzelt)

Fünf Klassiker, die ein Uhrenverrückter in der Schublade haben sollte.
Meinen Sie, ich wäre ein Uhrenverrückter und könnte das beurteilen? Und wenn ja, wie kann ich beurteilen, wie verrückt die anderen sind? Das auf einzelne Modelle festzulegen fällt mir schwer. Es gibt Uhrenverrückte, deren fünf Klassiker garantiert nur von einer Marke sind. Andere haben unterschiedliche Marken, aber nur Uhren aus einem Material. Und wieder andere haben nur Uhren, die die gleiche Technik haben. Die Verrücktesten sind die, die fünf Uhren in der Schublade verwahren, die reine Marketinguhren sind und alle keine echte Geschichte haben.
In meiner Schublade wäre auf jeden Fall eine Uhr, die der Uhrmacherkunst Tribut zollt. Die zweite wäre eine echte Sportuhr, mit der man auch tauchen kann. Als drittes eine Uhr, die mich rein von der Gestaltung anspricht. Die vierte wäre eine sportliche Alltagsuhr mit gutem Gegenwert, die ich an jedem Ort der Welt gegen ein Heimflugticktet eintauschen könnte. Last but not least eine bescheidene Uhr, mit der ich mich stilsicher bewegen kann.

Besitzen Sie eine „billige Urlaubsuhr“? Wenn ja, welche?
Eine billige Urlaubsuhr kann es bei mir nicht geben, denn sie muss strapazierfähig sein.

Sie tragen Ihre Uhr am liebsten an:
Im Alltag Leder, beim Sport Stahl.

Bei welchen Gelegenheiten verzichten Sie auf eine Uhr am Handgelenk?
Beim Schlafen, in der Sauna, beim Duschen.

Smart Watch: Ja / nein / heimlich / nicht mehr?
Nein.

Mechanische Uhren werden jeden Technik-Trend überleben, weil:
Weil die Mechanik einen besonderen Charme hat und die Handwerkskunst hohen Respekt verdient. Sie ist die einzige Technik, die wir mit bloßem Auge sehen und somit deren Funktionsweise nachvollziehen können.

In der Schramberger Designabteilung entstehen die Junghansuhren von morgen

Wenn Sie ein nicht uhrenaffiner Freund fragt, wie viel er denn für eine „vernünftige“ Uhr mindestens ausgeben muss, welche Summe nennen Sie?
Da für mich persönlich eine vernünftige, gute Uhr in der Regel mechanisch ist und eine ordentliche Ausstattung haben sollte, wird er mit mind. 700 Euro aufwärts rechnen müssen. Das heißt jedoch nicht, dass Quarz- und Funkuhren unvernünftig sind. Es hängt vom Freund ab, manchmal ist sogar eine Quarz- oder Funkuhr vernünftiger.

Unter Egana Goldpfeil reichte das Junghans-Sortiment von Billiguhr bis Luxus. Das endete 2008 in der Insolvenz. In welchem Preissegment sehen Sie die Marke Junghans heute?
Unsere Kernpreislage liegt heute zwischen 500 und 2.000 Euro. Die Einstiegspreislage beginnt bei 300 Euro für eine Junghans Quarzuhr bzw. Quarz-Solaruhr. Unsere Fliegeruhr Meister Pilot, die auf den legendären Bundeswehr-Chronographen von 1955 zurückgeht, bildet mit 2.440 Euro die Spitze unserer Kollektion. Die markanten Modelle sind mit gewölbtem und beidseitig entspiegeltem Saphirglas, drehbarer Lünette und DLC-Beschichtung ausgestattet. Die Erhard Junghans Modelle, deren Echtgold-Ausführungen bis über 15.000 Euro lagen, waren eine Sortimentsabrundung nach oben und sind als Hommage an den Gründer anzusehen.

Eine Ihrer ersten Aufgaben als Geschäftsführer war in der Insolvenz die Suche nach einem neuen Besitzer. Mit Dr. Hans-Jochem Steim und seinem Sohn Hannes Steim wurde eine „ortsansässige“ Lösung gefunden. Typisch Schwarzwald oder war die Auswahl so klein?
Ganz im Gegenteil. Rund 80 Interessenten gab es für Junghans. Auch Firmen, die nur den Markennamen wollten und sich nicht für das Unternehmen und den Standort interessiert haben. Die Auswahl der Interessenten, die das Unternehmen Junghans hätten fortführen wollen, war jedoch deutlich kleiner. Dass mit Dr. Hans-Jochem und Hannes Steim Schramberger Unternehmer Junghans gekauft haben, war und ist ein großer Glücksfall und hat die beste Perspektive eröffnet und bewiesen.

Dr. Hans-Jochem Steim (rechts) und sein Sohn Hannes Steim

Die Familie Steim hat Junghans bekanntermaßen nicht aus Uhrenverrücktheit gekauft. War diese Branchenferne der Faktor für die Rückkehr in die Erfolgsspur?
Die Familie Steim ist seit vielen Generationen ein Begleiter der Branche gewesen und konnte Aufstieg sowie Niedergang des Unternehmens vor Ort hautnah nachverfolgen. Als Hersteller von Uhrenfedern ist die Kern-Liebers Gruppe der Familie Steim auch heute Lieferant der Uhrenbranche. Sie sind sicherlich keine Kenner der heutigen Armbanduhrenszene gewesen, aber von Branchenfremdheit kann man nicht sprechen. Das Engagement der Familie Steim hat vielfältige Gründe. Nach gründlicher Überlegung sah man sicherlich einen möglichen Erfolg für Junghans und das ist für einen Unternehmer eine entscheidende Grundlage. Der zweite Aspekt ist, dass Junghans fest mit der Identität der Uhrenstadt Schramberg verbunden ist und wie kein anderes Unternehmen die Geschichte der Stadt in den letzten knapp 160 Jahren geprägt hat. Somit eine Mischung aus Unternehmertum und der Bereitschaft zur Hilfe in einer großen Sache. Für den erfolgreichen Neustart war sicherlich die strategische Ausrichtung wichtig: Die Rückbesinnung auf die Historie und die Entscheidung, ausschließlich Uhren made in Schramberg zu produzieren. Dies hat die Familie Steim voll und ganz mitgetragen.

„Junghans – die deutsche Uhr“. Wäre die Regionalität, also der Schwarzwald, als Gegenpunkt zu Glashütte nicht der konsequentere Slogan gewesen?
Aus unserer Sicht nicht. Die deutsche Uhr hat auch international gesehen eine größere Bedeutung. Als wir uns diesen Slogan überlegten, stellten wir uns selbstkritisch die Frage, ob wir diesem großen Anspruch gerecht werden können. Unsere Geschichte als ehemals weltgrößter Uhrenhersteller und deutsches Unternehmen, das ohne Unterbrechung am Markt war, sowie Vorreiter in allen Arten der Uhrentechnik gewesen zu sein, hat uns am Ende bestärkt. Vor der finalen Umsetzung haben wir dies auch mit Branchenkollegen, darunter auch Walter Lange, besprochen, um niemand vor den Kopf zu stoßen. Anstatt Verwunderung wurde uns Respekt entgegengebracht und uns bestätigt ‚Jawoll, das seid ihr‘.
Dennoch haben Sie recht, der Schwarzwald bietet eine wunderschöne Bildersprache, die in aller Welt zugkräftig ist. Deshalb können und wollen wir das nicht ausschließen.

Die Renovierung des über 100 Jahre alten Terrassenbaus schreitet voran. Wie sehen die konkreten Pläne für das Schramberger Wahrzeichen aus?
Wir arbeiten auf Hochtouren daran, die 9 Terrassen mit Leben zu füllen. Voraussichtlich ab Sommer 2018 können Besucher darin die Geschichte der Uhrenfabrik und der Familie Junghans kennenlernen. Darüber hinaus wird im Museum aber auch ein größerer Bogen gespannt: Es wird einen großen Überblick über die Anfänge der Schwarzwalduhren bis hin zu feinen Musikinstrumenten bieten. Aber auch das Gebäude als „Museumshülle“ alleine ist einen Besuch wert.

Philipp Jakob Manz hat als Architekt mit dem Terrassenbau in Schramberg „Zeitgeschichte“ geschrieben.

Sie betonen immer wieder, dass Junghans keine Manufaktur, sondern eine Uhrenfabrik ist. Verdeutlichen Sie uns bitte den Unterschied.
Mit dem Begriff Manufaktur verbindet man ursprünglich in Handarbeit hergestellte Produkte. Der Begriff wird heute in der Uhrenbranche vielfältig beansprucht und nicht immer transparent gehandhabt. In der Regel verstehen sich Firmen, die eigene Werke produzieren, auch gern als Manufaktur. Somit könnten auch wir unsere Funkuhrwerke, die nicht nur bei uns in Schramberg entwickelt, sondern auch produziert werden, als Manufakturwerke bezeichnen. Der Begriff Fabrik passt jedoch eindeutig besser zu den großen, historisch produzierten Stückzahlen – in 157 Jahren sind das über eine halbe Milliarde produzierte Uhren gewesen. Heute produzieren wir 60.000 Uhren im Jahr. Es wäre nicht richtig, bei diesen industriell gefertigten Stückzahlen von Manufaktur zu sprechen. Natürlich wird jede Uhr mit Liebe zum Detail hier in Schramberg entworfen und in Handarbeit montiert – aber wir sehen uns als Fabrik.

Der Neuanfang vor fast zehn Jahren hat keine Revolution, sondern eher eine Evolution in Gang gesetzt. Ist das die Vorsicht des gebrannten Kindes oder die überlebensnotwendige strategische Ausrichtung?
Nach der Insolvenz und der damit einhergehenden Verunsicherung mussten wir zuerst einmal Vertrauen schaffen und die Juweliere überzeugen, dass Junghans auch zukünftig ein zuverlässiger Partner ist. Eine neue Markenpositionierung, die Sie als Revolution empfinden, hatte bereits kurz vor der Insolvenz stattgefunden. Durch die erfahrene Krise haben wir damals viel über die Markenstärke erfahren können. Wir wussten, dass die Marke einen hohen Bekanntheitsgrad hat, mussten aber auch feststellen, dass das Markenbild in den Köpfen der Kunden extrem stark verankert war. Junghans ist eine große Marke, die man nicht nur bei sich im Unternehmen, sondern auch bei Kunden und Uhrenfans evolutionär umbauen muss. Sie haben das somit richtig erkannt, wobei ich es eher als richtigen und logischen Entschluss ansehe, denn als reine Vorsicht.

Wenn junge Uhrenmarken auf „retro machen“ wirkt das oft lächerlich. Junghans hat eine fast 160-jährige Tradition, die diese „Rückschau“ argumentieren kann. Wie erklären Sie den offensichtlichen Wunsch der Kunden nach dem Traditionellen, vor allem in der Optik?
Die Uhrenmarken haben in den letzten Jahren in puncto Gestaltung nichts ausgelassen was Farbigkeit, Größe und manchmal auch Glaubwürdigkeit anbelangt. Der Geschmack der Kunden wurde teilweise sicherlich getroffen, aber auch häufig überstrapaziert. Vielleicht war die Zeit mal wieder reif für eine schöne klassische Uhr. Mit der Max Bill-Uhr haben wir seit Jahrzehnten einen „retro“ Klassiker im Programm. Zum Jubiläumsjahr 2011 war unsere Motivation, eine Linie zu schaffen, die unsere Tradition aufgreift und widerspiegelt. Mit der Meister Linie haben wir dies geschafft. Wir haben diese Linie aus und für unsere Markenidentität entworfen. Dafür sofort im Jubiläumsjahr beim Chrono-Award die Kategorie Trendsetter zu gewinnen, war für uns dennoch sehr überraschend. Somit war der sich etwas später entwickelnde Trend für uns ein Glücksfall.

Auf der einen Seite Solar und Funk – auf der anderen Driver und Pilot. Was tragen Sie eigentlich am Handgelenk?
Als Uhrmachermeister trage ich auf der Herzensseite meist eine mechanische Uhr.  Am rechten Handgelenk trage ich eine Funkuhr, die zur Geschichte von Junghans unbedingt dazugehört. Sie steht für die Innovationskraft des Unternehmens und zeigt mir immer die exakte Zeit an.

Was die G-Klasse bei Mercedes, ist „max bill“ bei Junghans. Wie lange kann der Bauhaus-Stil noch neu interpretiert werden?
Wenn Sie mit der G-Klasse funktionelles und reduziertes Design assoziieren, stimme ich zu. Aber auf diesen Vergleich wäre ich nie gekommen, denn die „max bill“ ist wesentlich eleganter, ohne große Ecken und Kanten – aber der Vergleich adelt dennoch. Im Kern sind die erfolgreichen max bill-Modelle unverändert und brauchen keine Neuinterpretation. Es gibt aber leichte Anpassungen, ein Teil der Kollektion passt sich den heutigen Strömungen an. Ich bin überzeugt, dass es den Minimalisten unter den Uhrenkäufern immer geben wird. Denn gutes Design bleibt, die „max bill“ ist das beste Beispiel dafür.

Die Junghans max bill: ein Design-Klassiker immer wieder neu interpretiert

Alles andere als retro sind die Einkaufsmöglichkeiten, die Sie Ihren Kunden bieten. Ein aufwendiger Online-Shop macht die Uhrenwahl vom Sofa aus möglich. Der erste Schritt zum konzessionärsfreien Vertriebssystem?
Nein, definitiv nicht. Für uns ist der Fachhandel immer noch der beste Ort, um eine Uhr zu kaufen. Dort kann ich die Uhr erleben und im wahrsten Sinne des Wortes „begreifen“. Ich kann mir Technik erklären lassen, die Haptik spüren und sie anprobieren. So wird der Uhrenkauf zum Einkaufserlebnis. Die persönliche Ansprache und die emotionale Auswahl sind online bei weitem nicht so „echt“ leistbar, wie dies bei einem stationären Verkaufspunkt gewährleistet ist. Der Onlineshop ist eine Ergänzung unseres Vertriebssystems – ein Baustein in unserer digitalen Gesamtstrategie. Mit dem Shop wollen wir eine klare und seriöse Markenpräsenz für Endverbraucher schaffen, die sich online orientieren wollen. Zudem bietet uns der Onlineshop die Möglichkeit, in Gebieten und Ländern, in denen wir aktuell keine Distribution haben, Junghans Uhren anzubieten.

Bleiben wir online: Bei Risikokapital befeuerten Online-Shops wie Chronext oder Montredo kann ich Ihre Premiummodelle wie „Meister Driver Chronoscope“ per Klick und ohne Verhandeln 20% unter Listenpreis kaufen. Noch mehr Druck für den ohnehin gebeutelten stationären Handel?
Der Druck für den Handel ist heute in allen Branchen enorm hoch. Leider findet die Differenzierung im Web heute meistens über den Preis statt. Die auffälligen Plattformen sind keine Kunden von uns und bedienen sich mit Waren, die sie aus dem Handel beziehen. Die Plattformen spiegeln somit wider, wie der Fachhandel aktuell agiert. Die Gesetzeslage in Europa unterstützt die Stärkung des freien Handels  und verbietet ausdrücklich eine feste Preisbindung durch die Hersteller. Es bleibt zu hoffen, dass am Ende der Mehrwert, den ein seriöser Juwelier stationär und online bietet, mehr zählt als das Schnäppchen.

Klar und funktional: Der Junghans Online-Shop

Traditionshandwerk meets Social Network. Ist Offline-Business ohne Online-Präsenz noch machbar? Ersetzt der Facebook-Post das Beratungsgespräch?
Die Präsenz in den sozialen Medien ist eine wichtige Ergänzung zur klassischen Kommunikation, um Interesse und Aufmerksamkeit für das Produkt zu wecken. Aber ein Online-Bild oder ein Post kann niemals das Gefühl ersetzen, sich die Uhr an den Arm zu legen. Das haptische Erlebnis und das Gefühl der Wertigkeit der Uhr kann nur eine qualitative Beratung vermitteln. Also ein klares Nein, ein Post ersetzt in keinem Fall ein Beratungsgespräch.

Dieses Interview erscheint in einem Online-Blog, nicht in einem gedruckten Magazin. Sind die „Influencer“ wirklich die entscheidenden Meinungsmacher für den nächsten Uhrenkauf? Wie geht Junghans mit den neuen Medienmachern um?
Selbstverständlich halten wir dies für wichtig und für uns gehört es zu einer professionellen Kommunikation dazu. Die glaubwürdigste Empfehlung ist aber immer noch die Weiterempfehlung einer Person, die eine Junghans Uhr voller Überzeugung trägt und dies im echten Leben zeigt.

Während sich die Uhrenbranche langsam erholt, muss sich die „Baselworld“ gesundschrumpfen. Was müsste sich an dieser weltgrößten Uhrenmesse verändern, damit Junghans wieder vor Ort präsent ist?
Seit mittlerweile 5 Jahren sind wir direkt neben der Messe im Hotel. Wir und unsere Kunden fühlen uns dort sehr wohl. Das Ambiente bietet gerade den gestressten Messebesuchern einen Moment der Auszeit und Ruhe für konstruktive Gespräche.
In der Vergangenheit war es sehr schwierig für uns, einen adäquaten Platz zu bekommen und es war ein mangelndes Interesse seitens der Messegesellschaft spürbar, uns bei einer Rückkehr auf die Messe unterstützen zu wollen. Auch die extrem angezogenen Preise in Basel haben nicht nur uns auf Distanz gehalten, sondern sind für den starken Rückgang an Ausstellern sicherlich mitverantwortlich.
Wir sind somit aber vor Ort, schnell erreichbar und freuen uns, unseren Kunden mit einem besseren Service verwöhnen zu können als das in einer der Hallen möglich wäre.

Was ist Ihrer Meinung nach die größte Herausforderung der Uhrenindustrie in den nächsten 5 Jahren?
Ich glaube, dass die große Herausforderung sein wird, die Branche wieder zu stabilisieren und auf ein „normales“ Level zurückzuführen. In den letzten 5 Jahren haben starke Wellen die Branche erreicht, die vom Hersteller über den Zulieferer bis zum Juwelier spürbar waren und viele auch in Schwierigkeiten gebracht haben. Man muss erkennen, dass die Märkte nicht unendlich sind, sich nicht jedes Design verkaufen lässt, nicht jedes Konzept zum Erfolg führt.

Welches wäre der größte Fehler, den man als Hersteller machen kann?
Seinen Markenkern nicht zu kennen oder zu versuchen, ihn zu schnell verändern zu wollen. Erfolge anderer oder aktuelle Strömungen verleiten gern dazu, die Identität schnell zu wechseln. Es muss jedem Markenbesitzer klar sein, dass die Marke und die Wahrnehmung der Marke das wichtigste Bindeglied zwischen dem Hersteller und dem Kunden ist.

Wenn Sie nicht in der Uhrenindustrie gelandet wären, dann wären Sie jetzt:
in einem gestaltenden oder technischen Beruf tätig. Ich habe nach meiner Ausbildung zum Uhrmacher ein Architekturstudium begonnen, aber schnell gemerkt, dass mein Herz damals schon an die Uhr verschenkt war.

Welches berufliche Ziel möchten Sie unbedingt noch erreichen?
Mein größtes berufliches Ziel ist es, Junghans zu langfristigem Erfolg zu führen. Diese Marke hat eine so reiche Tradition, einen so bedeutenden Namen und so viel Potenzial für die Zukunft, dass mich diese Aufgabe weiterhin mit Freude beschäftigen wird.

Die Meister Driver-Serie. So modern kann retro daherkommen

Und welches private?
Privat soll ja auch privat sein. Bei jemand, der wie ich mit viel Leidenschaft berufliche Ziele verfolgt, müssen die privaten Ziele sein, genug Zeit für die Familie und sportliche Aktivitäten zu sichern. Für beide Bereiche habe ich mir das Ziel gesetzt, mir die Offenheit für neue Inspirationen zu erhalten und damit immer wieder neue Ziele für mich und meine Arbeit zu entdecken.

Welche nicht tickende Passion begeistert Sie?
Begeisterung für Kunst jeglicher Art, ob als Plastik oder Malerei, in der Küche oder am Instrument.

Noch irgendwelche berühmten letzten Worte?
Man kann aus allem eine Kunst machen. Wenn Menschen Dinge mit Leidenschaft angehen, können in den einfachsten Dingen Qualität und Perfektion entstehen. Dies beeindruckt mich und sollte im Alltag nicht vergessen werden.

Herzlichen Dank.

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In der Reihe „Die Uhrenbeweger“ interviewe ich – meist per Fragebogen – Menschen, deren berufliches Leben eng mit dem Thema Uhr verbunden ist. Entscheider/innen aus der Uhren-Industrie und dem Uhren-Handel, Uhrmacher, Designer, Sammler und andere Verrückte.

Fragen und Antworten werden von mir unkommentiert veröffentlicht. Ich werde für keinerlei Leistungen im Rahmen der Veröffentlichung bezahlt, weder für die Abbildung von Produkten oder Marken, noch für die Verlinkung zu dem Unternehmen des Interview-Partners.
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4 Comments

  1. Jürgen Fuhrmann sagt:

    Hallo Herr Strohm, Sehr schönes Interview. Ich bewundere den Mut und die unternehmerische Fähigkeit von Junghans. Dem Himmel sei dank, dass dieses Traditionsunternehmen nicht verloren ging.
    Da ich selbst ein „alter“ Schramberger bin und Junghans von Kindheit an kenne, habe ich irgendwann angefangen, Junghans Uhren zu sammeln.
    Als ich die Intensität spürte, wollte ich meine Freude über diese tolle Marke mit Anderen teilen. Das es so viele Gleichgesinnte gibt, hätte ich nicht zu glauben gewagt, doch es ist so.
    Wir leben heute das Thema Junghans intensiv in unserer FB-Gruppe der : #JunghansUhrenFreunde…von damals bis heute.
    mfg
    Jürgen

  2. Marcus Freytag sagt:

    Sehr schönes Interview – zurückhaltend und dennoch alles mit Nachdruck gesagt.
    Vielen Dank dafür.

  3. Lutz sagt:

    Danke für das schöne Interview.

    Und Danke an Herrn Stotz und Familie Steim für das Engagement bei Junghans.
    Ohne Junghans würde mir was fehlen.

  4. Jupp Schmitz sagt:

    Auch wenn ich kein Freund der Junghans-Modelle bin, war es doch wohltuend, neben dem allgegenwärtigen Alaaf/Helau heute dieses Interview zu lesen…

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