„Natürlich ist die NICHT echt – ich bin ja clever!“

Oder: Wenn man Fakes genau an den Handgelenken antrifft, an denen man sie am wenigsten vermutet.

Meine Einstellung zu gefälschten Uhren ist hinlänglich bekannt: Fälschungen herzustellen und damit zu handeln ist ein Straftatbestand, sie zu tragen ist zumindest Beschiss an sich selbst und anderen. Differenzierter betrachtet kann ich zwar den Anfang zwanzigjährigen verstehen, der aus dem Urlaub einen Blender mit nach Hause bringt, tolerieren möchte ich es nicht. Denn er tritt das geistige Eigentum der Originale (ungestraft) mit beflipflopten Füßen. Egal ob auf dem Nachbau eine Krone oder ein „LV“ prangt.

Mich erschreckt die (momentan von mir gefühlte) Rudelbildung sogenannter „Besserverdiener“, die anscheinend ungeniert mit der zeitmessenden Raubkopie und der damit verbundenen finanziellen Ersparnis kokettieren. Zwei Beispiele der jüngsten Vergangenheit:

Déformation professionelle

Während eines Erstgespräches beim Männerarzt meines (damaligen) Vertrauens, frug er ob meines Berufes nach. Der Zusammenhang zwischen der bevorstehenden großen Hafenrundfahrt und meinem Broterwerb war mir zwar schleierhaft, trotzdem antwortete ich ausweichend: „Was mit Uhren“. Hätte ich es mal lieber nicht getan, denn ich hätte doch genau wissen müssen, welche Frage kommt: „Sie als Experte…na, welche Uhr trage ich?“

Es ist natürlich eine klassische „Déformation professionelle“ (umgangssprachlich für Berufskrankheit – in jedem Beitrag lernen wir ein Fremdwort!), die meinen Blick beim menschlichen Erstkontakt magisch aufs Handgelenk zieht. Ja, ich be-vor-urteile mein Gegenüber nach der Uhr, die er/sie trägt – ich kann nix dafür.

„Breitling Navitimer“ war meine Antwort, die dem Herrn Doktor ein so breites Siegerlächeln ins Gesicht zauberte, wie ich es nur noch einmal in dem Moment bei ihm sah, als er mich als Privatpatient erkannte. „Könnte man meinen, is es aber nicht! Natürlich ist die nicht echt – ich bin ja clever!“

Und schon hatte er mich entlarvt. Der feine Herr Strohm, dieser selbsternannte Experte, hatte nicht aus drei Metern Entfernung und einzig anhand der Krone, die unter dem Weißkittel-Ärmel hervorlugte erkannt, dass es sich um ein Fake handelt. Punkt an den Doc. „Und bezahlt habe ich auch nur 600 (!!) statt 6.000,- Euro. Wie gesagt – clever muss man sein.“ Punkt, Satz und Sieg.

Wo hatte der Proktologe seine Uhren verloren?

In der Sekunde ging mir die Frage durch den Kopf, warum dieser medizinische Schlaufuchs wohl Imitate am Handgelenk trägt. Hatte der Proktologe bereits Uhren verloren? Und zwar an Stellen, an denen nie die Sonne scheint? Da erlangt der Satz: „Du kannst dir dein Fake sonst wohin schieben“ doch gleich ganz neue Bedeutung.

Was, wenn sich seine Cleverness nicht nur auf den Kauf von Uhren bezieht? Warum acht Jahre studieren, wenn man das Diplom auch in Panama kaufen kann? Sind billige Placebos nicht genau so wirksam wie die Original-Medikamente? Warum die Darmspiegelung nicht bei einem anderen Arzt machen?

Weg vom weißen Kittel, hin zu der karierten Golfhose von Beispiel zwei. Mein mir bis dahin unbekannter, aber wirklich sympathischer Flightpartner wusste wohl, dass ich „mit teuren Uhren handle“. Ein Golfplatz ist halt auch nur ein Dorf. Nach dem dritten Loch kamen wir aufs Thema und er stellte fest, dass ich gar keine Uhr trage. Wo ich doch mit solch tollen Dingen deale. Ich wollte anmerken, dass der mit uns spielende BMW-Händler auch nicht mit einem X5 durchs Raff brettert. Doch ich verbiss es mir und erklärte den horologischen Absens mit der Beeinträchtigung meines Schwungs durch eine Uhr…oder umgekehrt.

Es folgte ein Kompliment meinerseits, dass seiner ausgefeilten Spieltechnik auch die Rolex am Handgelenk nichts mehr anhaben kann. Es kam, was kommen musste: „Du glaubst doch wohl nicht, dass ich beim Golfen eine echte Rolex trage?“

Wenn ein Fake zum Handicap wird

Doch, glaubte ich, warum auch nicht? So lange er den Ball mit dem Eisen und nicht mit dem Edelstahl der Submariner schlägt. Auch die Taschendieb-Dichte auf deutschen Golfplätzen ist überschaubar. Und die Wahrscheinlichkeit ist größer, dass ein verirrter Ball die Frontscheibe seines Cabrios auf dem Parkplatz trifft, als das Frontglas seiner Uhr am Handgelenk. Oder ist sein Mercedes SL vielleicht gar kein Original? Verbirgt sich unter der Oldtimer-Haube nur ein alter VW Käfer? Bestimmt ist sein Callaway-Schlägersatz in Wirklichkeit eine plumpe China-Fälschung.

Halten wir es wirklich für clever, wenn wir Schlechtes für Gutes ausgeben? Ist mein Handicap in Wirklichkeit einstellig und ich bin nur so schlau, mit meiner Fake-Vorgabe nicht anzugeben?

Einzig ausschlaggebend ist doch folgende Frage: Hätten Arzt und Golfpartner auch bei Nicht-Experten ihre Fakes als solche geoutet? Ich nehme es mal in deren Sinne an.

Der Halo-Effekt

Es gibt keinerlei Grund ein Fake zu tragen, der Markt ist voll von guten und preiswerten Tickern, die sowohl für tiefe Eingriffe als auch für flache Schwünge geeignet sind. Und wen ich bis hierhin noch nicht überzeugen konnte, dem komme ich jetzt wissenschaftlich. Und zwar mit dem sogenannten „Halo-Effekt“, abgeleitet vom engl. Begriff für Heiligenschein.

Der Halo-Effekt ist eine aus der Sozialpsychologie bekannte kognitive Verzerrung, die darin besteht, von bekannten Eigenschaften einer Person auf unbekannte Eigenschaften zu schließen.

Die bekannte Eigenschaft soll in diesem Fall die Rolex sein, deren positives Image auf den Träger abstrahlen möge. Leider funktioniert dieser Image-Transfer auch im Negativen. Wer also voller Stolz zugibt ein Fake zu tragen, wird nicht als clever, sondern als Blender wahrgenommen. Diese negative Einschätzung überträgt der Geblendete auch auf andere, bisher unbekannte Fähigkeiten des Blenders, sei es im menschlichen oder beruflichen Leben.

So wird aus jedem China-Kracher ein gezielter Schuss ins eigene Knie. Und ab einer bestimmten gesellschaftlichen Ebene kann eine billige Fälschung zu einem teuren Bumerang werden.

Clever – oder?

 

 

12 Comments

  1. Uwe Ziegeler sagt:

    Nach dem negativen Ronda 515 Versuch in der etwas großen sehr schön blauen Yves Camani Schale trage ich jetzt eine Uhr namens Passat, wohl ein Werbegeschenk für libysche VW Kunden. Egal. Aber das miyota 2115 erfüllt alle Erwartungen. Es läuft absolut präzise, nur jetzt im Winter, wenn der Arm zu lange unter der Bettdecke hervorlugt macht es, weil ich kühl schlafe (16Grad), eine Viertelsekunde pro Nacht Vorlauf, das regelt sich aber wieder, und so muß ich das Teil nur zwei Mal im Jahr stellen, ich bin immer unter 1 sek+.So viel Glück muß man erstmal haben, wenn man weiß was die Experten mit 5sek/Jahr garantiert für ihre Klunker haben wollen.
    Danke Gruß uz

  2. Ortenauer sagt:

    Es ist zwar schon etwas her, aber auch ich bedanke mich für die Stellungnahme. Ich sehe es nämlich genauso wie Sie Herr Strohm – sowas geht einfach nicht.

    Vielleicht liegt es daran, dass ich Handwerker bin; selbst nicht unmengen verdiene aber dennoch den Wert einer handwerklichen Arbeit schätze (und Uhrmacher sind nunmal auch Handwerker) und ich daher nie eine Fälschung bewusst kaufen, geschweige denn tragen und damit angeben würde.

    Das ganze hat nicht nur mit Preis- und Wert der gekauften Ware zu tun; sondern vielmehr auch mit „Wertschätzung“ gegenüber dem Erschaffer – dem Handwerker – der die Ware hergestellt hat.

  3. Jeder Heiko hat ne Seiko - jeder Tölpl fährt nen Völkl. sagt:

    Leider vermengen die Leute meistens ein Paar Dinge wie Preis und Wert, letzteres ist abhängig von Person aber auch Situation. Preis ist was irgendwo bezahlt wird, und ganz sicher nicht objektiv, auch wenn das manche Leute gerne soooo hätten. Der Wert ist so sehr schwer feststellbar…. dass die meisten meinen der Preis sei der Wert. Wenn man nur ganz gross es wohinschreibt und oft wiederholt glaubt es am Ende noch wer.

    Ich kannte mal einen Uhrmacher der vertrat die gleiche Meinung, bis ihm dämmerte, dass es sein verdeckter psychologischer Schutzmechanismus war, weil er nur von den echten Uhren lebte und da war nat. nichts einfacher und logisch – als die Nachbauten zu verurteilen und deren Träger auch noch obendrein.

    Die Unfähigkeit der Verfassers oben Verhalten nicht reflex-artik abzuwerten, moralisch zu entwerten und obendrein auch noch zu kriminalisieren – trägt in keinster Weise zur Hebung des Wortbeitrags bei. Nur weil man sich vielleicht in der dt. Rolex Niederlassung nicht damit blicken lassen sollte – ist es noch lange nicht kriminell. Wohl mag es Gesetze in Deutschland geben aber, Plagiate herzustellen, aber
    **- news-flash -** die Welt besteht nicht nur aus Deutschland … die meisten Menschen leben ausserhalb können sich diesen Irrwitz nicht leisten – und verstehen auch nicht warum die Äusserlich ähnlich aussehende und halbwegs zuverlässige Zeitmesser das hundertfache kosten soll.

    Bekommen sie lieber Autor, es nicht selbst mit der Angst zu tun, und zweifeln sie an ihrere Urteilskraft, dass ihr Dr.Popo solche RIESEN moralische Lücken aufweisst und sie es nicht erkennt haben? Vielleicht ist nicht nur seine Uhr gefälscht sondern auch sein Diplom und er hat gar nicht 10 Jahre Afterhohlraumbohrungen studiert!!! Wie konnten sie nur zu so einem gehen und sich derart Blenden lassen? Hier haben sie schon man geirrt….

    Vielleicht aber sind die Blender nicht jene in China – sondern vielleicht jene die uns und Ihnen wahr machen wollen ,dass so ein Edelklunker tausdende Euro wert seien. Aber Achtung! – hier würde sich ja das gesamte Weltbild auf den Kopf stellen… Ich vermute dass die meisten Menschen auf dem Erdballen für eine Uhr KEINE 3000€++++ ausgeben wenn sie einen Nachbau für 50€ bekommen. Aber verunglimpfen wir diese alle nur als unwürdige unwissende, die ja kein Niveau haben und daher nichts zahlen… äh nichts zählen.
    Mein Rat…. ab zum Psychologen ….

  4. Jörg Staubach sagt:

    Toller Text – habe ihn mit Genuss gelesen

    • Uwe Ziegeler sagt:

      Genau, ab zum Psychologen. Wir wissen ja um die Verhältnisse arm-reich und wie Schröder sich lobt, er hätte den größten Niedriglohnsektor in Europa geschaffen. Und dann noch die zahlungsunfähigen Kunden beschimpfen, sie würden keine Rolex kaufen von dem Geld, das eh die anderen haben.
      Meine Yves Camani hat 80,–€ gekostet, finish perfekt, und hat ein ronda 515 eingeschalt. Einziger Störfaktor: Sie macht wie alle anderen zur Sicherheit zwei bis drei Sekunden Vorlauf/IMonat. Das ist unnötig, weil der damit zu egalisierende Störfall für dieses Laufwerk bei normalem Gebrauch nicht existiert. Warum im Vorfeld etwas korrigieren was es nicht gibt?
      Danke Gruß uz

  5. Die Sichtweise ist ein wenig polemisch-satirisch-einseitig, denn was völlig außer acht bleibt, sind die Fälschungen, die nicht als solche erkannt werden. Die Produzenten sind mittlerweile auf einem Niveau angelangt, das einem die Tränen in die Augen treibt. Mein Vortrag dazu auf der Jahrestagung des Pfandleihgewerbes hat gezeigt, das jeder von denen, der Uhren ankauft, hier bereits Probleme mit Plagiaten hatte. Insofern muss dies auch gezeigt werden, bevor lediglich an das Ehrgefühl appeliert wird…. Das liest sich zwar amüsant, aber zeigt nicht das wahre Ausmaß dieses Sumpfes.

    • Herr Strohm sagt:

      Meine Sichtweise ist einseitig – einseitig gegen Plagiate, egal in welcher Form. Es ist auch kein Artikel primär zu diesem Problem, sondern zur Tatsache, dass sich Menschen, die sich ein Original leisten können, mit der angeblichen Cleverness brüsten.

  6. Antje Rendelmann sagt:

    Selbst das vermeintlich gesparte Geld ist kein Argument.
    Einige meiner Uhren werden Heute zum 10x bis 50x fachen meines damaligen Kaufpreises gehandelt.
    Gruss Antje

  7. Robert Lau sagt:

    Fakes sind einfach nur peinlich. Und umso mehr, wenn man sie bewusst kauft und trägt und dann noch stolz darauf ist, ach so schlau zu sein.
    Besonders schlimm wird es, wenn man sich dann noch als Uhrenfreund ausgibt.

  8. Jürgen Simonis sagt:

    Ich kenne das aus der umgekehrten Perspektive, obwohll ich aus Hygienegründen während der Arbeit keine Uhr trage. Da im Wartezimmer aber immer auch Uhrenmagazine ausliegen, ist eine gewisse Affinität zur Uhrenwelt zu vermuten.
    „Hey Doc, Sie kennen sich doch mit Uhren aus?“ „Nunja, etwas, vielleicht.“ „Was, schätzen Sie, habe ich für diese Rlx bezahlt?“ Hält mir eine über und über mit Strass besetzte „Deitona“ unter die Nase, die im Original vermutlich mehr kostet, als der Mann in einem Jahr verdient. „5000?“, um ihm eine Freude zu machen. „HAR, SEHEN SIE, niemand erkennt den Unterschied. Diese Uhr kommt nämlich aus derselben Fabrik in China, die auch für Rlx die Uhren zusammenschraubt. Die zweigen da nachts, wenn die Kontrolleure schlafen, immer ein paar ab, merkt ja keiner, ob da jetzt hundert Uhren mehr oder weniger vom Fließband fallen, und verkaufen sie dann für 200 Euros im Internet. Und da wird immer noch dran verdient. Sieht man mal, wie viel die Uhrenfirmen in der Schweiz da abzocken!“
    Und dann bin ich froh, den Patientem in die Horizontale fahren zu können und er nicht mehr reden kann 😉

  9. Abermillionen geklärte Bilder stündlich auf Fb, setzen dem locker die Krone auf und quer durch alle sozialen Schichten, keinerlei Bewustsein dessen sie da tun.

  10. THE LLIGHT sagt:

    Danke für diese deutliche Stellungnahme – Leute, die gefälschte Produkte tragen, benutzen und dieses auch nocht gut finden, sind nicht clever, sondern bestensfalls bauernschlau auf einem unteren Niveau.

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